The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
britische Armee unerklärlicherweise auch noch einen taubstummen Mann namens Eamonn McDevitt in Strabane erschossen hatte. Die Gefühle der Allgemeinheit gegenüber der Armee, die wir erst kurz zuvor als Verteidiger der katholischen Bevölkerung willkommen geheißen hatten, hatten jetzt den absoluten Tiefpunkt erreicht.
Ich hatte den Schock, der mich angesichts dieser Erschießungen erfasst hatte, noch nicht bewältigt, als ich wenige Stunden später erfuhr, dass noch ein weiterer meiner Freunde in einem ungeklärten Vorfall in der Waterside erschossen worden war. Es war der sechzehnjährige Jim O’Hagan, mit dem ich mich angefreundet hatte, als wir beide der Einheit Waterside angehörten, und den ich erst wenige Tage zuvor noch auf der Straße getroffen hatte.
Es gingen erste Berichte herum, dass internierte Männer nach ihrer Festnahme und während höchst brutaler Verhöre von Soldaten und Polizisten gefoltert worden waren. Eine dieser Geschichten besagte, dass mindestens zwei bekannten Bürgern aus Derry, die ergriffen und verhört wurden, neben anderen Foltern im Namen von Recht und Ordnung hölzerne Besenstiele den Darmausgang hinaufgetrieben wurden. Dies wurde später bei Anhörungen vor der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg bestätigt. In der katholischen Bevölkerung begriff man langsam, was mit den Internierungs-Razzien alles einherging, und vor allem, dass niemand vor der britischen Armee sicher war. Dadurch wuchs die ohnehin schon vorhandene Wut weiter an. Die Armeesoldaten konnten in jedes beliebige Haus eindringen, die Treppe hinaufstürmen und Männer vor den Augen ihrer schreienden Frauen und Kinder aus den Ehebetten zerren. Männer konnten verschleppt und mit Methoden wie Verstörung durch weißes Rauschen, Augenbinde, Prügel, der Androhung, dass man sie aus großer Höhe aus einem Hubschrauber werfen würde, sowie unbegrenzter Inhaftierung terrorisiert werden. Das Ganze bezeugte den vollen Glanz des britischen Versprechens, für Frieden in Nordirland zu sorgen. Es war nichts anderes als eine Lizenz zur Vergewaltigung einer Stadtbevölkerung.
All dies führte zu einer hohen Anzahl an Trauernden, die an der großen Beerdigungsfeier für Eamonn Lafferty teilnehmen wollten. Für mich und einige meiner Freunde war dieses Begräbnis der Anlass zu höchster Verbitterung gegenüber der weit entfernten IRA-Führung und der örtlichen Führung der katholischen Kirche.
Mir und anderen Freunden Eamonns wurde nämlich gesagt, wir sollten an der Beerdigung nicht teilnehmen, wir könnten nicht die maskierten und uniformierten Fahnenträger darstellen, es würden Männer von außerhalb kommen und die Beerdigung organisieren und durchführen! Darüber war ich wirklich sehr verbittert.
Als wir erfuhren, dass Eamonns Sarg in der Nacht vor der Beerdigung in der Kathedrale stehen sollte, wollten wir die irische Trikolore über seinen Sarg breiten und ihm auf unsere eigene Art die letzte Ehre erweisen. Ich besorgte von einer Familie der Nationalistischen Partei die Trikolore, und ein älterer, größerer und gut bekannter Volunteer aus Brandywell machte sich mit mir auf den Weg zum Gemeindehaus neben der Eugenius-Kathedrale, wo ich getauft worden war und die heilige Kommunion erhalten hatte, und wo ich auch ein paar Jahre lang Chorsänger gewesen war. Wir wollten den Priestern unser Vorhaben erklären.
Als wir an der Tür klingelten, kam des Bischofs Mann fürs Grobe heraus, ein Priester, der keine Zeit für die IRA hatte, und für den die IRA deshalb genauso wenig Zeit aufwenden wollte. Obwohl ich viel jünger als mein Begleiter war, erklärte ich dem Mann, was wir geplant hatten. Der Priester weigerte sich sofort, uns in die Kathedrale zu lassen und dort irgendwelche militaristischen oder paramilitärischen Zeremonien abzuhalten.
Mein älterer Freund wies ihn darauf hin, dass die Flagge Großbritanniens schon oft über andere Särge sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kathedrale gebreitet worden war. Das gab ihm wohl zu denken, und die Debatte zog sich einige Zeit hin, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss. Ich sagte ihm, dass dieser Affront gegenüber einem toten IRA-Helden, einem Jungen aus der Nachbarschaft, dessen Familie keine hundert Meter von der Kathedrale entfernt wohnte und der sich das Recht auf letzte Ehrenbezeugungen seiner Freunde redlich verdient hatte, äußerst böses Blut geben würde. Da gab er dann endlich nach und sagte, wir dürften an den Sarg heran, dort
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