The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
dass er äußerst schlecht gelaunt war und ich jetzt mächtig Ärger bekommen würde. Ich ging in die Küche und fand ihn vor, wie er mit der einen Hand das Haar auf seinem Hinterkopf zauste und mit der anderen an seinem geöffneten Hemdkragen herumfingerte – ein schlechtes Zeichen. Er gab mir auch gar keine Gelegenheit, etwas zu sagen, sondern brüllte los: „Was zum Teufel hast du da angerichtet? Eine Frau und zwei Kinder sind angeschossen worden!“
„Angeschossen? Ich hab’ eine Rakete - “ begann ich, aber er schnitt mir das Wort ab. Mir sank das Herz, und es würde mir übel.
„Du hast eine Rakete abgeschossen! Und die Briten haben eine Frau und zwei Kinder angeschossen!“
Langsam wurde ich sauer auf diesen Brigadeoffizier, der, soweit ich wusste, noch nie selbst einen Einsatz durchgeführt hatte und sich ständig wegen einer Operation verrückt machte, über die er nur formal die Kontrolle hatte.
„Jetzt hören Sie mir einen Augenblick zu! Ich hab’ die Rakete abgeschossen. Sie ist über den Beobachtungsposten hinweg gesaust und irgendwo anders explodiert, und danach hab’ ich ein paar Schüsse gehört. Weiter hab’ ich nichts damit zu tun. Machen Sie mich nicht verantwortlich für irgendwelche Schießereien der britischen Armee.“
„Ha! Deine Rakete ist auf einen anderen Armeeposten am Bischofs-Stadttor gefallen und ist da explodiert, und ein Soldat hat auf ein Auto gefeuert, das gerade die Kontrollstelle verließ. Er hat eine Frau und zwei Kinder getroffen.“
„Dann beschweren Sie sich bei der britischen Armee!“ brüllte ich zurück.
„Du machst nichts als Ärger, Shane, dauernd stellst du irgendetwas an! Langsam hab’ ich genug davon!“
Es war kein besonderes Geheimnis, dass dieser Offizier mit seiner Position nicht zurechtkam, und er musste sie auch kurz nach diesem Vorfall abgeben. Ich ließ ihn stehen und ging nach Hause, wobei mir ganz elend war beim Gedanken daran, dass die Frau und die Kinder Schüsse abbekommen hatten. Besonders schuldbewusst war ich auch deswegen, weil der Zustand des kleinen Mädchens, das eine Schussverletzung hatte, als kritisch bezeichnet wurde und ich die Vorstellung nicht ertragen konnte, dass das Kind womöglich starb. Mein Schlafzimmer hatte ich irgendwann in eins der Zimmer in unserem Dachgeschoss verlegt, und ich erinnere mich noch ganz deutlich an die Qualen, die ich wegen dieser Schüsse durchlitt. Ich wandte mich an die allerhöchste Instanz persönlich und betete stundenlang auf Knien um das Leben des kleinen Mädchens und um die Genesung der Mutter und ihres Jungen, denn ich wollte nicht, dass ein unschuldiges Kind wegen meiner Attacke auf die britische Armee sterben musste. Am nächsten Tag erfuhr ich aus den Nachrichten, dass der Zustand des Mädchens immer noch kritisch, aber leicht verbessert war. Der Junge und seine Mutter waren nach der Behandlung ihrer geringfügigen Verletzungen bereits aus dem Krankenhaus entlassen worden. Bald erholte sich auch das kleine Mädchen.
Wegen der Schüsse der Armee hatte es noch einen Riesenkrach gegeben, nicht zuletzt, weil die Armee sofort nach dem Vorfall verschiedene Geschichten in Umlauf setzte. Die erste davon behauptete, es sei eine Bombe aus dem Auto geworfen worden. Sofort gab es heftige Kontroversen, denn die angeschossenen Opfer waren Protestanten. Sie gehörten somit einer Bevölkerungsgruppe an, die normalerweise die Armee unterstützte und nicht ohne Weiteres bereit war zu glauben, dass die Soldaten sofort schießen würden, statt erst einmal ein paar Fragen zu stellen. Zudem gab es Zeugen, die aussagten, die Schüsse seien erst eine Minute nach der Explosion gefallen. Die Tatsache, dass es sich bei den Insassen des Autos um eine Frau und zwei Kinder gehandelt hatte, machte die Behauptung der Armee, dass diese in irgendeine illegale Aktivität verwickelt waren, völlig unglaubwürdig. Hätten zwei oder drei Männer in dem Auto gesessen, dann wäre das mit Sicherheit eine ganz andere Sache gewesen.
Aber ganz gleich welche politischen Kontroversen und Fettnäpfchen sich die Armee durch ihre Schießfreudigkeit selbst in den Weg gestellt hatte, ich selbst war von den Folgen meines Handelns zutiefst erschüttert. Der nur knapp abgewendete Tod des kleinen Mädchens hatte die Grundfesten meiner Überzeugung ins Wanken gebracht. Nach diesem Vorfall Anfang November wandte ich mich von der IRA ab. Es gab ja außerdem nach Eamonns Beerdigung und den verschiedenen Morden der britischen Armee so
Weitere Kostenlose Bücher