Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)

Titel: The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shane O'Doherty
Vom Netzwerk:
Polizisten bewaffnet, ich aber nicht. Wenn ich versuchen würde wegzurennen, würden sie mich garantiert in den Rücken schießen. In einem Sekundenbruchteil sah ich meinen Auftritt vor Gericht wenige Tage später vor mir, die Reaktion meiner Familie und der ganzen Stadt und meine anschließende Gefängnisstrafe. Ich stellte mir aber auch vor, die Polizisten würden mich erschießen – warum sollten sie mich einfach nur verhaften, da sie mich doch auf frischer Tat beim Hantieren mit einer Bombe ertappt hatten? Nein, keinesfalls wollte ich mich ergeben. Ich beschloss, zurück um die Ecke zur Hauptstraße und weiter zu den kleinen Hintergassen, in denen ich mich gut auskannte, zu rennen. Ich wusste genau, dass die Polizei mich niemals zu fassen kriegen würde, wenn ich erst einmal um die Ecke herum wäre. Als ich auf die Ecke zu sauste, hörte ich hinter mir, wie jemand „Halt!“ befahl, aber bevor irgendetwas passieren konnte, war ich auch schon weg. Während ich die Straße hinunter wetzte, fiel mir die andere Bombe ein, die ja gezündet worden war und jeden Moment hochgehen konnte. Ich rannte in eine andere Seitenstraße hinein, um in einer der nächsten Hintergassen Schutz zu finden. Plötzlich war der Knall der explodierenden Bombe zu hören, und sofort darauf das Geräusch von fallenden Scherben und Steinbrocken. Damit würden die Polizisten erst einmal gut beschäftigt sein – und ich war frei! Ich hatte es geschafft, nachdem ich erst wenige Sekunden zuvor gedacht hatte, ich müsste mich ergeben!
    Als ich weiter auf die Bogside zu rannte, war ich sicher, dass es überhaupt nichts gäbe, was ich nicht schaffen könnte, vorausgesetzt, dass ich wirklich entschlossen dazu war. Ich beschloss, mich niemals zu ergeben, sondern noch die winzigste Chance und Gelegenheit auszunutzen, denn ich war überzeugt, dass die Polizei und die Soldaten mich auf jeden Fall erschießen würden, selbst wenn ich beabsichtigte, mich zu stellen. Dieser Abend markierte einen Wendepunkt in meiner Einstellung – niemals mehr würde ich mich auf die Bedingungen der Polizei oder der Armee einlassen.
    Es fällt mir nicht leicht, Einsätze zuzugeben, die – aus welchen Gründen auch immer – schrecklich danebengingen, aber ich muss von einem solchen berichten, den ich Anfang November ausführte. Ich hatte mich bereit erklärt, eine Rakete auf einen Beobachtungsposten der Armee hoch oben auf der historischen Stadtmauer abzufeuern. Das bedeutete, dass ich hinter einer Ecke hervorkommen musste, so dass der Posten mich deutlich sehen konnte, und dann musste ich sofort zielen und die Rakete abfeuern, bevor irgendein Wachsoldat auf mich schießen konnte.
    Eines Sonntags wurde ich also spät am Abend nach St Columb’s Wells gefahren. Ich strebte mit dem kleinen Raketenwerfer auf die Ecke zu, stählte meine Nerven, trat hervor und erlebte wieder alles Folgende in Zeitlupe – wie ich mit dem Raketenwerfer auf den großen Posten zielte, schoss, die Bewegungsspur der Rakete augenblicklich ihren Weg nach oben nahm und doch den Posten um viele Zentimeter verfehlte. Sie fegte einfach an ihm vorbei, und dann verlor ich sie aus den Augen. Ich konnte es kaum fassen, dass sie so wahnsinnig hoch gestiegen war und hatte fast vergessen, dass ich ja schnell zurück um die Ecke musste, aber dann hörte ich auch schon einen lauten Knall. Ich rannte zum Auto zurück und stieg schnell ein, damit ich wieder weggebracht werden konnte. Dabei hörte ich das scharfe Krachen von Gewehrfeuer irgendwo in der Nähe, aber es war nicht nahe genug, als dass es in meine Richtung gezielt sein konnte. Mein Fahrer sagte: „War das ein lauter Knall! Du hast voll getroffen!“ Daraufhin sagte ich, dass es sich in der Stille der Nacht immer besonders laut anhörte, aber ich erwähnte nichts davon, dass ich keine Ahnung hatte, was ich getroffen hatte. Ich meinte nur: „Wer hat da jetzt wohl geschossen, und auf was?“ Kurz darauf begab ich mich zu dem vorgesetzten Brigade-Offizier.
    Nun muss ich noch erläutern, dass viele Frauen in Derry, und besonders in Brandywell und in der Bogside, ganz verrückt aufs Bingospielen waren, wobei auch immer jede Menge Klatsch und Tratsch (von mir aus auch Informationsaustausch) stattfand. Zufällig war die Frau des Brigade-Offiziers gerade vom Bingo zurückgekommen und berichtete von der rätselhaften Explosion, während er mich schon erwartete.
    Als ich dort ankam, öffnete mir seine Frau mit einem Gesichtsausdruck, der mir zu verstehen gab,

Weitere Kostenlose Bücher