The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
das Haus zu übernehmen und einen Schuss zu versuchen, sobald sich die Gelegenheit ergab.
An diesem Tag klopften ich und ein anderer Aktiver in Tarnung an die Haustür und sagten den Bewohnern, wir würden als Mitglieder der IRA das Haus für ein paar Stunden übernehmen. Die Leute hatten schon viele Kämpfe miterlebt und hatten daher keine größeren Bedenken. Schließlich kamen die Mädchen mit dem Armalite und der Munition an. Das Armalite ließ sich auf halbe Länge zusammenklappen und passte unter einen Mantel oder einen längeren Rock. Der geplante Ablauf war nun, dass ich den Schuss abfeuern, dann die Hülse aufheben (wobei man aufpassen musste, weil sie sehr heiß sein würde), Gewehr und Hülse den Mädchen übergeben und dann so schnell wie möglich verschwinden würde, bevor die Armee Kontrollstellen und Suchaktionen in Gang bringen konnte.
Ich nahm das Gewehr mit nach oben an das einen Schlitz weit geöffnete Fenster mit der weiten Aussicht, lud es und nahm Schießhaltung ein. Allerdings hatte ich keine Erfahrung mit dieser Waffe und wollte die daran angebrachte Zielvorrichtung für eine weite Entfernung benutzen. Bevor ich hätte nachdenken können, erschien plötzlich ein Soldat, und schon hatte ich gezielt und gefeuert, wobei ich vor Nervosität zitterte. Das Schussgeräusch krachte durch die Bogside, und ich griff sofort nach der herausgefallenen Hülse. Natürlich hatte ich vergessen, dass sie zu heiß zum Anfassen war und verbrannte mir die Hand, aber ich schaffte die Hülse und das Gewehr unverzüglich wieder hinunter zu den Mädchen, die im Hausflur warteten. Sie gingen sofort, und ich sagte den Leuten in der Küche, sie hätten das Haus jetzt wieder zu ihrer Verfügung. Ich dankte ihnen im Namen der IRA, verließ das Haus und floh so schnell wie möglich in einen sicheren Unterschlupf.
Zwar verfehlte der Schuss sein Ziel, aber der Vorfall hatte zur Folge, dass die IRA im Ghetto und in den Nachrichten wieder als präsent wahrgenommen wurde. Die Armee reagierte sofort mit verschärften Wachgängen und Hausdurchsuchungen, wodurch es eine Zeitlang schwierig war, sich draußen zu bewegen, aber es gelang mir, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Etwa eine Woche später sollte ein weiterer Einzelschuss in Brandywell versucht werden, und da ich meine Schießfähigkeit etwas übertrieben dargestellt hatte, wurde mir diese Aufgabe übertragen. Es sollte aus relativ kurzer Entfernung auf den letzten Mann einer längeren Fußpatrouille gefeuert werden. Wieder übernahmen wir ein Haus, und ich hielt mich im Obergeschoss bereit. Das Fenster ging auf eine Lücke zwischen zwei Häusern und einen Gehweg hinaus, auf dem in unregelmäßigen Abständen Soldaten patrouillierten. Ich hielt das Armalite durch das offene Fenster auf die Lücke zwischen den Häusern und wartete auf die Soldaten.
Schließlich war in der Lücke der erste zu sehen, und ich zählte mit, bis der letzte kam. Als ich zielte, zitterte ich noch heftiger als beim letzten Mal, denn auf diese kurze Entfernung konnte man auch ohne jede Ausbildung treffen. Der Mann erschien in der Lücke, und ich sah seine Splitterschutzweste und sein Gewehr. Ohne zu zögern schoss ich, wobei ich auf seine Körpermitte zielte, wie wir es im Training gelernt hatten. Er ging tatsächlich zu Boden! Das Gewehr fiel mir beinahe aus der Hand. Ich vergaß, aufzupassen, wohin die Hülse fiel und musste erst danach suchen, wodurch sich unser Rückzug aus dem Haus und der Umgebung verzögerte.
Über dem Ghetto kreiste so gut wie ununterbrochen ein Armee-Hubschrauber, der unverzüglich auf einen Funkruf der Patrouille reagieren konnte, indem er in Tiefflug ging und alle Männer und Mädchen weitermeldete, die sich verdächtig bewegten und womöglich versteckte Waffen transportierten. Nachrichten verbreiteten sich im Viertel immer sehr schnell, und als ich nach allerhand Umwegen an meinem Unterschlupf ankam, sprach man in der Familie bereits von der Heckenschützen-Attacke. Es war ein Armee-Krankenwagen zu hören gewesen – ein sicheres Anzeichen dafür, dass ein Soldat getroffen worden war. Dass ich so kurz danach zurückkam, war ein Hinweis darauf, dass ich damit zu tun gehabt haben musste, aber keiner der Familie sagte etwas. In den Nachrichten war später zu hören, dass ein Heckenschütze einen Soldaten angeschossen hatte. Dessen Verletzungen waren jedoch durch den Umstand, dass der Schuss zunächst sein Gewehr getroffen hatte, entscheidend geringer ausgefallen. Ich war
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