The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Waffenstillstandsabkommen mit den Briten aus, dachte ich bei mir. Die Fahrt verlief ohne ein Wort.
Die Victoria-Polizeikaserne war sicher in den vergangenen fünf Monaten wegen des Waffenstillstands ein einsamer, untypisch ruhiger Ort gewesen. Als wir dort ankamen, war wenig Aktivität zu sehen. Man brachte mich in einen Raum, setzte mich auf einen Stuhl und ließ mich von meinen bewaffneten Schatten bewachen. Was hätte ich da schon getan, unbewaffnet und halbnackt, wie ich war? Zudem lautete die entsprechende Anweisung der IRA, passiv zu bleiben. Ein kleiner, älterer Mann mit Halbglatze kam herein, beugte sich zu mir herunter und sagte mit zur Seite geneigtem Kopf mehrere Male zu mir: „Shane Paul O’Doherty, kannst du mich hören? Du bist verhaftet. Kannst du mich hören? Du bist verhaftet. Du wirst verhört und angeklagt - kannst du mich hören?“ Glaubte er, ich sei taub? Dachte er wirklich, ich würde mich mit ihm unterhalten? Ich blieb bei meinem Schweigen, wie es den Vorgaben der IRA entsprach. Ich ignorierte ihn einfach.
Dann steckten sie mich in eine Zelle im Untergeschoss, schlossen mich ein und ließen mich da sitzen. Ich sah mir die Wände an. Überall standen die Namen von IRA-Männern, die im Laufe der Jahre dort festgehalten worden waren. Meinen fügte ich nicht hinzu – aber auch nur, weil ich keinen Stift hatte. Ich wanderte langsam in der Zelle auf und ab und dachte, dass der Friede wohl doch nur ein Traum war und sich nicht verwirklichen würde. Zu viele wollten den Konflikt weiter schüren und waren mit einem auf dem Verhandlungsweg erzielten Ende nicht zufrieden, weil sie glaubten, dass eine Seite schließlich doch die andere besiegen konnte. Ich wusste aber, dass das unmöglich war.
Und jetzt war ich mehr oder weniger aus dem Spiel. Ich würde jetzt ein entfernter Beobachter des Spiels in der Außenwelt werden, während ich mich auf die Innenwelt des Gefängnisses einstellte. Wenn jetzt nicht die Hilfezentren meine Freilassung einklagten oder sonst wie sicherstellten, würde sich Derrys IRA-Brigade von dieser britischen Auslegung des Waffenstillstands schändlich betrogen fühlen. Auf keinen Fall konnte die IRA hinnehmen, dass die Royal Ulster Constabulary einzelne Volunteers einfach so verhaftete. Sie konnte das als ein raffiniertes Spiel der Briten ansehen, die die IRA als an den Waffenstillstand gebunden sahen, während sie selber die Polizei dazu benutzen, die Abmachungen zu brechen und bestimmte Leute zu schnappen. Es war ganz sicher irgendeine größere Reaktion zu erwarten.
Nach einer Weile brachten uniformierte Polizisten mich die Treppe hinauf und schubsten mich in einen kleinen, engen Raum, wo mich zwei Detectives erwarteten. Ich war immer noch barfuß und nackt bis zum Gürtel, mein Herz raste, und ich konnte mich absolut nicht beruhigen, während ich meinem ersten Verhör entgegensah. Ich hatte so viele schreckliche Details von brutaler, sadistischer Behandlung gehört, die vor mir verhafteten Freunden widerfahren war. Andererseits aber empfand ich auch eine Art Ausgeglichenheit des Gemüts, eine Art Entspannung, die daher kam, dass jetzt alles zu Ende war, alle Anspannung, alle Furcht, alles Bemühen, extreme Bewusstheit, Angst vor dem Tod, vor Verletzung, Verhaftung – all das war vorbei, lag hinter mir, und ich war immer noch am Leben! Was konnten die beiden Clowns in Anzügen mir schon antun, was nur im Entferntesten an das heranreichte, was ich mir selbst und die Situation uns allen angetan hatte? Ich war jetzt so entspannt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Langsam begriff ich, dass ich nun wirklich aus dem Spiel war.
Ich saß auf einem Stuhl vor einem kastenförmigen Holztisch, in dem sich zweifellos ein Mikrofon befand, dass mit einem woanders versteckten Kassettenrekorder verbunden war. Der eine Detektive war glattrasiert und garantiert so fanatisch in seiner Ansicht, dass Ulster für immer und ewig protestantisch und britisch bleiben sollte, wie ich meine fanatische Ansicht hegte, dass die Briten sich aus Irland zurückziehen sollten und Irland vereinigt werden sollte. Der andere war klein und dick und hatte einen mexikanisch wirkenden schwarzen Schnurrbart. Die Hart-trifft-Weich-Einstellung der beiden beleidigte mich. Sah ich so naiv aus? Der Schnurrbärtige versuchte es damit, bedrohlich hysterisch und gewalttätig aufzutreten, während der Glattrasierte ihn gegen die Wand drängte, als wolle er mich vor einer brutalen Attacke beschützen. Dabei machte er mir
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