The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
wahrte der Glattrasierte keinen Anschein mehr. Mit unmissverständlicher Anspielung auf die Zusammenarbeit der Polizei mit paramilitärischen protestantischen Loyalisten ließ er mich wissen: „Also, Shane, wenn du Angriffe auf unsere Familien organisiert oder dich daran beteiligt hättest, dann hätten wir uns mit unseren Jungs da draußen (den paramilitärischen Loyalisten) über deine Verwandten unterhalten.“ Das war eine eindeutige Bedrohung meiner völlig unschuldigen und natürlich sehr verletzlichen Angehörigen.
Dann war es Samstag. Man sagte mir, ich würde auch Sicherheitsgründen nicht in Derry vor ein Sondergericht gestellt, sondern in der etwa vierzig Meilen entfernten protestantischen Stadt Coleraine. Ich wurde vier jungen Detectives übergeben, von denen zwei mich mit Handschellen an sich festmachten. Für die Fahrt bestiegen wir dann einen großen, schnellen Wagen. Bei der Ausfahrt aus der Victoria-Polizeikaserne fuhr ein Armee-Geländewagen vor uns und einer hinter uns her. Außerhalb der Stadt jedoch beschleunigte unser Fahrer, überholte und fuhr dann ohne die beiden Armeefahrzeuge weiter nach Coleraine, wobei er beleidigende Kommentare über die Armee machte – schlimmere Kommentare als über mich. In Coleraine befanden sich die Polizeiwache und das Gericht im selben Gebäude, und als wir dort ankamen, gab es einen erbitterten Streit zwischen den Detectives und den Uniformierten über die Frage, wer mir die Fingerabdrücke abnehmen durfte. Wenig später stand ich ein paar Sekunden lang vor dem Gericht. Ich sollte in Untersuchungshaft bleiben und nach Belfast überführt werden. Der Bruch des Waffenstillstands war nun irreparabel, und es war mit Vergeltungsanschlägen zu rechnen, was die Polizei auch genau wusste.
Mit meinen vier Detectives fuhr man mich also nach Belfast, wobei die Armee-Eskorte erneut abgehängt wurde. Meine Begleiter schafften es, sich in Belfast im republikanischen Teil des Bezirks Ardoyne zu verirren, bis sie dann endlich den Weg zum Gefängnis fanden. In unserem Wagen brach beinahe Panik aus, als wir in Ardoyne in einer Sackgasse landeten, in der uns IRA-Wandgemälde und Propaganda-Parolen umgaben. Die anderen vier schrien den Fahrer an, bis er endlich in der Nähe des Gefängnisses wieder auf die Crumlin Road stieß.
Meine erste Erfahrung mit dem Gefängnis von Belfast war unvergesslich, weniger aus strafrechtlichen Gründen als wegen der Atmosphäre von solch extremem religiösen Sektierertum und Hass, wie ich sie nie zuvor (und auch später nie wieder) angetroffen habe. Ich wurde am 10. Mai dort eingeliefert, zu einer Zeit, als paramilitärische Protestanten Katholiken ermordeten, um ihrem Protest gegen den Waffenstillstand zwischen der britischen Regierung und der IRA Ausdruck zu geben, und um die IRA in Belfast in den Sektiererkonflikt mit hineinzuziehen. So gut wie alle Gefängniswärter waren Protestanten mit aggressiver politischer Einstellung. Sie hassten jeden einzelnen Republikaner, jeden IRA-Mann, und – weil sie da keinen Unterschied sahen – auch jeden Katholiken. Neulinge unter den Gefangenen bekamen dies sofort zu spüren.
Die Aufseher gönnten mir keinen Blick, belehrten mich kalt, was ich zu tun und zu lassen hätte und sprachen miteinander, als sei ich gar nicht da: „Cecil, hier ist wieder so ein Katholen-Bastard für den B-Trakt. Ein IRA-Mörder-Bastard. Die Arschlöcher sollte man rausholen und erschießen. Gefängnis ist noch zu gut für die. Bring’ den Scheißkerl weg.“ Man brachte mich in den Gebäudeflügel B, wo es zu einer Reihe von etwa zehn oder zwölf Zellen ging, die durch einen Drahtkäfig vom restlichen Gebäudeteil abgetrennt waren. Es war eine kleine Sonderstrafstation für überzählige Gefangene aus dem Kellergeschoss und zur Verwahrung von Gefangenen, die am Wochenende eingeliefert wurden. In jeder dieser Zellen befanden sich ein Metallbett, das in den Boden einzementiert war, ein Stuhl und ein an der Wand befestigter Tisch. Man sagte mir, vor sieben Uhr abends dürfe ich auf dem Bett noch nicht einmal sitzen, und dann wurde ich eingeschlossen. Eine Weile saß ich auf dem Stuhl, aber dann verstieß ich gegen die Gefängnisordnung und stellte mich auf den Bettrahmen, um aus dem hoch oben liegenden, kleinen Gitterfenster zu schauen – ich blickte auf düstere, erbärmlich verfallende Ziegelmauern. Später wurde ekelhaftes Zeug auf einem Metalltablett serviert und dazu eine braune Flüssigkeit, die angeblich Tee war. Nichts
Weitere Kostenlose Bücher