The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
aalglatte Angebote der Art, dass ich nur mitspielen müsse, und dann würde er dafür sorgen, dass mir nichts Böses geschah.
Ich fixierte einen Punkt an der Wand, versuchte mich in Trance zu versetzen und ignorierte die drittklassigen Schauspieler. Anscheinend fanden sie ihre erfolglose Clownsnummer schließlich genauso peinlich. Sie kamen mir wieder näher und ließen alles langsamer laufen, um die Atmosphäre von Anspannung und Bedrohlichkeit wieder aufzubauen. Sie standen hinter und neben mir und bezogen sich auf verschiedene Angriffe gegen die Armee und die Polizei, an denen ich beteiligt gewesen sein sollte. Einer schlug mich langsam, aber fest vor den Hinterkopf, während der andere mir erzählte, draußen warteten noch weitere sehr erboste Polizisten auf die Gelegenheit, über mich herzufallen. Ich reagierte einfach nicht.
Sie beleidigten mich mit Schimpfnamen und schlugen vor, einzeln mit mir zu kämpfen, Mann gegen Mann, wie sie sagten – falls ein Feigling wie ich überhaupt als Mann bezeichnet werden könne. Ich drückte hörbar die Luft durch meine Nase, um meine Langeweile zu zeigen. Daraufhin schlugen sie mich vor sie Schultern und lockten: „Komm’ schon, du Memme! Hier ist deine Chance zum Kampf, Mann gegen Mann!“ In meinen Trancezustand dachte ich bei mir: „Die Armee hat auf mich geschossen, und ich bin entwischt. Ich habe eine Bombenexplosion hautnah abbekommen und überlebt. Entspann’ dich. Das Schlimmste ist vorbei.“
Nun versuchten es die Detectives mit anderen Methoden. Sie benannten Freunde von mir, die sie malträtiert hatten, als die Situation kritisch war, und beschrieben in allen Einzelheiten, was sie ihnen angetan hatten. Sie versprachen mir, dass sie mir innerhalb weniger Stunden genau dasselbe antun würden und sagten, sie gäben mir Zeit zur Vorfreude darauf.
Ich kam an den Punkt, wo ich ihnen sagen wollte: „Haut mich doch, ihr Quasselstrippen! Schlagt zu! Versucht nur, mich mit euren Fäusten kleinzukriegen – ihr werdet enttäuscht sein!“ Aber später hätte ich gern gerufen: „Jetzt kommt doch mal langsam zum Ende – die Warterei ermüdet mich.“ Langsam verstand ich, warum manche Leute schließlich bereit waren, sich des Mordes an jedermann von Jesus Christus bis John F. Kennedy schuldig zu bekennen. Mir kam auch der Gedanke, ich könnte es ja selbst beschleunigen, indem ich sie zuerst angriff ...
Dann wurde ich von Stuhl hochgezerrt und zu der Tür eines Raums geschubst, wo eine Schar schwarzgekleideter Polizisten darauf warteten, mich wieder hinunter in die Zelle zu bringen. Diesmal trieben sie mich einen anderen Weg entlang und liefen merkwürdigerweise hinter mir her. Als sie mich durch einen bestimmten Raum hindurch schickten, sah ich zwei Sterling-Maschinenpistolen mit hineingeschobenen Magazinen auf einem Tisch liegen, an dem ich vorbeilaufen musste. In diesem Augenblick wurde mir die wildeste Versuchung geboten, die ein unter Druck stehender junger Mann sich vorstellen konnte – eine geladene Waffe, mit der man die gesamte Situation umkehren konnte! Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass meine Schatten ihre Pistolen auf mich gezielt hielten und wohl blödsinnigerweise hofften, ich würde nach der Maschinenpistole greifen, die selbstverständlich nicht geladen war.
Kaum war ich wieder in der Zelle, immer noch barfuß und mit nacktem Oberkörper, als ich auch schon wieder nach oben gebracht wurde. Der Glattrasierte grinste und sagte mir, sie hätten die Telefone der Hilfezentren mit Wanzen versehen, und meine Verhaftung hätte Leute aufgescheucht wie ein Stich ins Wespennest, aber ich würde definitiv nicht freigelassen. Er entspannte sich einen Augenblick und erzählte mir, sie hätten einen ganzen Raum eigens für mich und die Geheimdienstberichte und Beweise, die sie über mich gesammelt hatten.
Dann rüstete er sich, mich wirklich aus der Ruhe zu bringen – ich konnte es schon an seiner Stimme erkennen. Er fragte mich, was ich glaubte, was sie in meinem früheren Elternhaus in der Clarendon Street gefunden hatten. Ich blieb stumm. Darauf hielt er ein halbes Blatt Papier hoch, auf dem eine ordentliche, geneigte Kinderhandschrift zu sehen war. Ich war so verlegen, dass ich fast errötete, als ich meine eigene Handschrift las: „Ich, Shane Paul O’Doherty, will für Irlands Freiheit kämpfen und notfalls sterben. Gezeichnet: Shane Paul O’Doherty.“ Der Zettel war mit 1965 datiert, als ich zehn Jahre alt war. Trotz der zehn Jahre, die seither
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