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The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)

The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)

Titel: The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Goldberg
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Kopf befand.

KAPITEL SECHS
    Ein König ohne Thron
    15:50 Uhr. Dienstag.
    Marty rappelte sich auf, und während er in die nächstbeste Seitenstraße flüchtete, rief er, so laut er nur konnte: »Giftgas!«
    Doch niemand hörte auf ihn.
    Zum einen, weil seine Worte von der Atemschutzmaske verschluckt wurden, zum anderen, weil alle zu sehr damit beschäftigt waren, sich vor dem Hagelgewitter aus toten Vögeln in Sicherheit zu bringen. Die gefederten Hochgeschwindigkeitsgeschosse prasselten auf die Leute herab und rissen sie zu Boden, schlugen in parkende Autos ein und brachten durch ihren Aufprall die behelfsmäßigen Hütten zum Einsturz. Angesichts dessen nahm man von dem Verrückten, der die Straße hinunterrannte und Unverständliches schrie, überhaupt keine Notiz.
    Marty rannte voller Panik stolpernd und taumelnd über die Trümmer auf der Straße, wobei er immer wieder über die Schulter Blicke auf die trüb-braune Wolke aus Giftgas warf. Er rannte, als wäre die dunkle Wolke lebendig und ihm dicht auf den Fersen, als würde das Insektizid mit Tentakeln nach ihm greifen, gierig nach seinem Fleisch. Er rannte, bis er nicht mehr konnte, bis sich sein Magen zusammenkrampfte und sich jeder Atemzug anfühlte, als würde ihm ein Schwert die Kehle hinabgestoßen.
    Er zog seine Atemschutzmaske herunter, drehte sich um und sah mit großer Erleichterung, dass die schädliche Wolke nicht mehr über ihm war, sondern sich, angeschubst von einer leichten Brise, Richtung Osten bewegte. Doch Martys Gefühl der Erleichterung wurde von einem Krampf zunichte gemacht, der seinen ganzen Körper erfasste und ihm plötzlich Angst machte, er könnte die Kontrolle über seine Eingeweide verlieren.
    Und die Vorstellung, dass er sich vollscheißen könnte, genau hier, mitten auf der Straße, war für ihn furchterregender als jede giftige Wolke.
    Er scherte sich nicht darum, ob er bereits vergiftet und dies nur der Anfang eines grauenhaften Todes war. Er fragte sich nicht, ob die schrecklichen Krämpfe von dem Pestizid herrührten oder von seinem Authentischen Koscheren Mexikanischen Burrito. Das Einzige, woran Marty Slack dachte, war, innerhalb der nächsten sechzig Sekunden eine funktionierende Toilette zu finden, denn das war die Zeitspanne, die ihm laut seiner biologischen Stoppuhr noch blieb, bis sein Schließmuskel gesprengt werden würde.
    Einer seiner schlimmsten Albträume, viel schrecklicher als die Vorstellung, vom Großen Beben heimgesucht zu werden, war die Angst, die Kontrolle über seine Eingeweide zu verlieren und keine Toilette zu finden. Dieser Albtraum wurde nur noch von der Angst getoppt, das Große Beben könnte zuschlagen, während er auf der Toilette saß.
    Selbst unter gewöhnlichen Umständen wurde Marty schwindelig vor Entsetzen bei der Vorstellung, jemand könnte ihm dabei zusehen, wie er auf der Toilette saß und ganz regulären Stuhlgang hatte. Sogar in seinem eigenen Haus schloss er jedes Mal die Tür ab, wenn er das Badezimmer benutzte – die Möglichkeit, dass Beth einfach hereinkam, war unerträglich für ihn.
    Marty hatte bereits Augenblicke nach seiner Entscheidung, aus der Innenstadt nach Hause zu laufen, beschlossen, dass er in den nächsten Tagen nicht scheißen würde. Er war wild entschlossen, für die Dauer der Krise verstopft zu sein, oder zumindest so lange, bis er ein Dixie-Klo mit einem robusten Türriegel fand.
    So viel zu seinem Entschluss.
    Wie jedes zweite Versprechen, das Marty sich im Laufe des Tages selbst gegeben hatte, so würde auch dieses gebrochen werden, und zwar innerhalb der nächsten paar Sekunden. Sein Körper rebellierte, seine Gedärme verdrehten sich ineinander, als würden sie geflochten. Er musste etwas unternehmen.
    Marty konnte nicht einfach jemanden fragen, ob er seine Toilette benutzen konnte, denn selbst wenn derjenige es ihm erlaubte, so konnte er doch nicht riskieren, ein Haus zu betreten, das über ihm zusammenbrechen könnte. Was er wirklich brauchte, war ein Versteck.
    Er hatte zehn Sekunden, um eins zu finden.
    Warum verstecken? Lass die Hose runter und bringe es hinter dich, genau hier auf der Straße, oder da drüben auf dem Rasen. Wen juckt das schon? Die Stadt liegt in Schutt und Asche. Überall bluten und kotzen und sterben Leute; glaubst du, es würde sich jemand auch nur einen Scheiß darum scheren, dass irgend so ein Typ mal kacken muss?
    Marty konnte das nicht tun. Er würde es nicht tun. Es musste irgendwo ein Fleckchen geben, wo er sich verstecken

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