The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
seine Figuren einfach nicht lebendig wirkten. Sie waren bloße Spielsteine, die in der Geschichte umherwanderten, ihre Romanfunktion erfüllten, ohne dabei auch nur ein einziges Mal zu atmen. Er schleifte sie Seite für Seite mit, drängte sie in Situationen, zwang sie zu sprechen und zermarterte sich dann das Hirn über jedes einzelne Wort, das sie sagten.
Nur einmal, wünschte Marty sich, sollte eine Figur das Heft in die Hand nehmen, Dinge sagen, die ihn überraschten, und der Geschichte eine neue Wendung geben, die ihm selbst erst in dem Moment in den Sinn kam, in dem er sie aufschrieb.
Er steckte gerade in einem dieser frustrierenden Momente fest, in denen er hasserfüllt auf seinen Laptop starrte, auf das 26 962ste Wort auf der 138sten Seite, als Beth hinter ihm auftauchte und ihre Hand auf seine Schulter legte. Sie wollte zärtlich und rücksichtsvoll sein, ihn so sanft wie möglich stören, doch die Wahrheit war, dass er die Unterbrechung hasste wie die Pest, egal wie nett sie vonstatten ging, selbst wenn es gar nichts zu unterbrechen gab.
Um ehrlich zu sein, dann ganz besonders.
»In zwei Monaten werden wir drei Jahre verheiratet sein«, sagte Beth sanft.
»Ich habe unseren Hochzeitstag noch nicht vergessen, aber danke für die Erinnerung.«
Marty bereute seinen Tonfall umgehend, und an der Art, wie sie ihre Hand von seiner Schulter rutschen ließ, erkannte er, dass er sie verletzt hatte. Doch Beth ging nicht weg, sie ließ sich auf seine schäbige Couch fallen, das Levitz-Sondermodell für 200 Dollar, das er seit College-Zeiten von einem Haus ins andere mitschleppte, und wartete darauf, dass er sich umdrehte.
Das tat er auch und sah, wie sie sich in eine Ecke gekuschelt hatte, die Knie an die Brust gezogen, was üblicherweise bedeutete, dass ein ernstes Gespräch auf ihn zukam, und was auch immer es war, er hatte es gerade noch schlimmer gemacht. Zeit für Schadensbegrenzung.
»Tut mir leid«, sagte er. »Du hast mich echt im falschen Moment erwischt. Ich bin an einer schwierigen Stelle in meinem Buch. Um ehrlich zu sein, ich stecke fest.«
»Ich auch«, sagte sie. »Ich verbringe meine Tage damit, entweder zu Castings zu gehen oder Komparsenrollen zu spielen, und in den Nächten übe ich dafür.«
»Du bist Schauspielerin, das ist deine Aufgabe. Es geht nur um die Performance.« Er fragte sich, wohin das führen sollte, was das damit zu tun hatte, seit drei Jahren verheiratet zu sein, und warum sie jetzt damit anfangen musste, auf Seite 138.
»Morgen spiele ich eine Reporterin, die keinen abkriegt, weil sie Mundgeruch hat, dann aber ihren Traummann findet, nachdem sie endlich damit anfängt, eine fantastische Mundspülung mit unglaublichem Pfefferminzgeschmack zu benutzen.«
Marty lächelte. »Es ist ein Anfang. Du arbeitest auf etwas hin.«
»Aber ich erreiche es nicht.« Beth blickte zu seinem Laptop. »Keiner von uns beiden erreicht es.«
Das war das Vernichtendste, Schmerzhafteste, was sie jemals zu ihm gesagt hatte, umso mehr, als sie es so beiläufig dahersagte, als sei es eine offensichtliche Tatsache. Marty nahm an, dass es das auch war, er hatte nur keine Ahnung, dass sie das wusste. Und jetzt war es raus, das Ungesagte gesagt. Er war kein Autor.
»Das wolltest du in meinem Falle ja auch nie«, sagte Marty. »Du warst es doch, die mich gedrängt hat, einen Job in der Drehbuchentwicklung anzunehmen.«
»Ich musste gar nicht so sehr drängen.«
»Deswegen bist gekommen? Um mir zu sagen, dass ich nicht schreiben kann und du nicht schauspielern?«
Das tat Marty immer, wenn sie ihn angriff: umso härter zurückschlagen. Er kannte das von sich, und doch konnte er nicht damit aufhören.
Sie begutachtete ihre Knie, was im Moment ein um einiges sicherer Ort zum Hinschauen war als ihr Ehemann. »Nein«, antwortete sie sanft.
Das war Beth, sie gewann, indem sie eben nicht noch einen draufsetzte. Sie kam damit durch, gemein zu sein, denn er feuerte immer noch böser zurück, und dann gab sie nach. Und dann fühlte er sich schuldig, und er war derjenige, der sich entschuldigen musste. Und selbst wenn er es nicht tat, behielt sie trotzdem immer recht. Es war ein immer wiederkehrendes, gleichbleibendes Muster in ihren Konflikten; sie wussten es beide, aber keiner von beiden schien in der Lage zu sein, es zu durchbrechen.
Der Hund kam hereingelaufen, sichtlich in Spiellaune, mit einem vollgesabberten Ball im Maul, doch selbst sein Hundehirn war differenziert genug, um die Schwingungen im Raum
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