The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
ihm entgegenstarrte. Die Jungenhaftigkeit, die sein Gesicht immer charakterisiert hatte, die er schon so lange zu seinem Vorteil zu nutzen wusste, war komplett verschwunden. Es lag nicht an der klaffenden Wunde auf seiner Stirn, nicht an dem getrockneten Blut und dem Dreck in seinen Haaren, nicht am Sonnenbrand und auch nicht an den Bartstoppeln.
Er hatte immer ein Leuchten in den Augen gehabt, auch wenn er wütend war, und sein Gesicht strahlte eine entspannte, ungezwungene Anmut aus, die den Anflug eines Grinsens zu verbergen schien. Doch jetzt waren seine Augen stumpf, als wären sie eine Schattierung dunkler geworden, und es lag eine seltsame Spannung auf seiner Haut, wie Lehm, wenn er hart wird. Es machte ihm Angst.
Er sah nicht mehr wie die Führungsperson eines TV-Senders oder wie ein Autor aus. Diese Zartheit und Sterilität, die daher rührten, inmitten von kühler, klimatisierter Luft unter künstlichem Licht frisch gehalten zu werden, waren verschwunden. Er war nicht gekämmt, er war schmutzig und ein bisschen verzweifelt, wie ein Obdachloser, nur ohne die nötige Aura von Niederlage und Ziellosigkeit. Da war noch etwas anderes, etwas Neues und doch Vertrautes.
Marty betrachtete sich genauer, sein Gesicht passte nicht so recht zusammen, war von den Rissen im Spiegel in Puzzleteile zerlegt. Jetzt sah er es: Es war das Gesicht eines dieser schwitzenden Besatzungsmitglieder eines U-Boots in einem Kriegsfilm, das nur darauf wartete, die nächste Unterwasserbombe zu zünden. Ein Seemann fühlt so viele Dinge gleichzeitig: Klaustrophobie. Resignation. Angst. Mut. Unsicherheit.
Oder war es etwas anderes? Was sollte ihm diese Miene sagen? Dieser Ausdruck in seinen Augen? Wer war er jetzt?
Ach, hör schon auf! Mit deinem Gesicht ist alles in Ordnung, schimpfte er mit sich selbst. Wie kannst du dich in einem kaputten Spiegel beurteilen wollen? In diesem schummrigen Licht, diesem zerbrochenen Glas würde jeder seltsam aussehen. Es sind nur die Erschöpfung und der Sonnenbrand, nichts, was ein bisschen Schlaf und etwas Creme nicht kurieren könnten. Denk nicht weiter darüber nach. Du bist derselbe Mann, der du immer warst.
Doch als Marty sein Gesicht mit der Lotion einrieb, wusste er, dass das nicht stimmte. Etwas war anders.
Marty und Buck trafen sich ein paar Minuten später in der Eingangshalle, als Marty gerade seine steif getrockneten Socken überzog.
»Gute Neuigkeiten«, sagte Buck. »Es gibt einen Feuerwehrschlauch auf diesem Stockwerk. Ich wette, jedes Stockwerk hat einen.«
»Und?«
»Wir werden ihn brauchen, um hier rauszukommen.«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Weil du nicht halb so schlau bist wie ich. Frag dich doch mal, wie wir hier rauskommen.«
»Auf dem gleichen Weg, wie wir reingekommen sind«, antwortete Marty, auch wenn ihm vor der Aussicht graute.
»Das Treppenhaus und die Lobby werden mit Autos, Bäumen, Häusern und wer weiß, was zur Hölle noch so alles, vollgestopft sein. Selbst wenn wir da durchklettern könnten, wird dieser ganze Scheiß wohl ziemlich wackelig sein. Wir müssen also runter auf die erste Etage, einen Feuerwehrschlauch an etwas Stabilem befestigen und uns nach draußen abseilen. Comprendo ?«
Marty nickte, während er seine Schuhe zuband. »Ja, ja, c omprendo .«
»Also, wohin gehen wir danach?«
»Wir?«
»Bist du verdammt noch mal hirntot oder einfach nur ein Arschloch?« Buck durchbohrte ihn mit seinem Blick.
Offensichtlich hatte Buck keinen Ort, an den er gehen konnte, und niemanden, der auf ihn wartete, und er war ein zu stolzer Mann, als dass er zugegeben hätte, dass er einsam war oder Angst hatte. Marty wusste das, doch sein Mitgefühl schien nicht auszureichen, um seine intuitive Abneigung gegen den Mann zu überwinden. Warum konnte Marty sich nicht eingestehen, dass er von Herzen froh darüber war, dass Buck am Leben war? Dass er dankbar dafür war, den Weg nicht alleine gehen zu müssen?
»Ein Arschloch«, gab Marty zu.
Buck grunzte nur, von Martys Eingeständnis kein bisschen milder gestimmt.
»Hier ist mein Plan«, sagte Marty. »Wir gehen nach Süden, bis wir die schlimmsten Auswirkungen der Flut hinter uns haben, dann arbeiten wir uns in nordwestlicher Richtung wieder zurück und nehmen den Sepulveda-Pass ins Tal.«
Buck starrte ihn immer noch wütend an. »Was, wenn du Hilfe brauchst, um deine Frau aus den Trümmern deines Hauses zu befreien, hast du darüber mal nachgedacht?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Was so viel bedeutet wie:
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