The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
mieses Ackerland, aber diese Geschäftsleute waren darauf aus, eine viel widerstandsfähigere Frucht zu ernten: Geld. Doch um das zu erreichen, brauchten sie immer noch Wasser.
Otis und seine Kumpane kauften die ganzen kleinen Bauernhöfe auf, und erst dann nutzten sie ihren beträchtlichen Einfluss, um Wasser in riesigen Aquädukten aus dem Sacramento Delta über Hunderte von Meilen nach Norden in das aride Tal umzuleiten.
Mit der Ankunft des Wassers war das Land mit einem Schlag das Hundertfache von dem wert, was die Geschäftsleute dafür bezahlt hatten. Und das, was nicht ihnen gehörte, bekamen sie durch Angliederung an die Stadt unter ihre Kontrolle. Otis nutzte die Seiten seiner Zeitung dazu, das Tal als Paradies zu verkaufen, und bald kamen die Leute in Horden.
Natürlich wüsste Marty all das nicht, wenn er nicht » Chinatown« gesehen hätte. Und wenn er den Film nicht gesehen und so von dem Skandal und den schmutzigen Geschäften hinter der Entstehung des Tals erfahren hätte, hätte er dort nicht leben können. Ohne den kleinsten Hauch eines Skandals in der Vergangenheit des Tals wäre es einfach zu fade und nichtssagend gewesen, um als Wohnort zu dienen.
Die einzige natürliche Wasserquelle für das Tal war der Los Angeles River, der das halbe Jahr über knochentrocken blieb, um dann ausschließlich im Winter an einem einzigen Regentag auf das Dreitausendfache anzuschwellen.
Sosehr Los Angeles nach Wasser lechzte, sosehr missfiel der Stadt die Unberechenbarkeit des Flusses, und sie behandelten ihn so, wie sie auch jedes andere Stück Land behandelten. Sie betonierten ihn zu.
Jetzt war der Los Angeles River eine mit Beton verkleidete Flutrinne, die sich durchs Tal wand, mit Ausnahme eines kleinen Stücks, das als Park ausgewiesen war, dort wo der stromlinienförmige, moderne Sepulveda-Flutkontrolldamm das Wasser zurückhielt, wenn es nötig war, und der ansonsten als billiges Filmmotiv diente.
Selbst wenn der Fluss über die Ufer trat, gab es keinen Mangel an aufregenden Filmszenen, die gedreht werden wollten. Unweigerlich fiel jemand trotz all der Zäune und der steil betonierten Uferböschungen hinein und löste eine dramatische Rettungsaktion aus, die in den meisten Fällen scheiterte. Nichtsdestoweniger gab das großartige Fernsehbilder ab.
Das Flutbecken unterhalb des Überlaufs, das so selten mit Wasser gefüllt war, quoll nun über vor Menschen. Es bestand aus tausend Hektar offener Fläche, und das war im Moment der einzige Ort, an dem jeder sich sicher fühlte.
Als Marty vom Sepulveda-Pass herunterkam, konnte er den Damm sehen und die Flut von Menschen, genau hinter der Stelle, an der sich der San Diego Freeway mit dem Ventura Freeway vereinte. Er wollte das Gewirr aus instabilen Überführungen umgehen, das an dieser Stelle zusammenlief, und so verließ er dort, wo sich der Freeway am Fuße des Nordhangs der Santa Monica Mountains herabsenkte, kletternd die Schnellstraße.
Er stapfte an der Auffahrt die Böschung hinunter und folgte dann der Straße darunter bis zu den stattlichen Häusern im Ranch-Stil entlang der Woodvale Road und der Haskell Avenue, mit ihren eingestürzten Schornsteinen, dem bröckelnden Stuck und den zerbrochenen Holzverkleidungen.
Hier saß das meiste Geld des ganzen Tals, in den zarten Vorgebirgsausläufern über dem Ventura Boulevard und den Hang hoch bis zum Mulholland Drive. Während der Hancock Park und Beverly Hills hauptsächlich von altem Geldadel geprägt waren, zumindest so alt, wie Geldadel in Los Angeles sein konnte, bauten die frischgebackenen Fernseh-, Film-, Sport- und Softwaremillionäre ihre – zumindest nach den Maßstäben des alten Geldadels – bescheidenen Anwesen hier im Tal.
Der alte Geldadel meinte, wenn die Reichen aus dem Tal echtes Geld besitzen würden und tatsächlich etwas zu sagen hätten, würden sie in eines der Bs ziehen – Brentwood, Beverly Hills oder Bel Air. Bis dahin hatten sie das Tal verdient.
Marty erreichte den Ventura Boulevard, und da er die Durchgangsstraße nach dem Northridge-Beben 1994 gesehen hatte, kam es ihm so vor, als würde er sich gerade eine Wiederholung anschauen. Die Gebäude auf beiden Seiten der »Hauptstraße« des Tals hatten ihr Gesicht verloren und entblößten ihre Gipssehnen und Eisenskelette. Die Bürgersteige warfen Falten, der Belag war voller Risse. Überall lagen zerbrochenes Glas und große Mörtelbrocken und flatterten lose Seiten Papier herum.
Der Ventura Boulevard, der den gesamten
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