The Walking Dead 3: Roman (German Edition)
drei anderen eilen zu den Fesseln. Alice löst vorsichtig den Knoten um einen Fußknöchel, während Glenn sich an dem anderen zu schaffen macht. Er hat Mühe, den Henkersknoten aufzukriegen. »Verdammt, Michonne, alles klar bei dir?«
Erneut ein stranguliertes Flüstern von der Frau: »N-nein … nicht einmal … nicht einmal annähernd.«
Rick und Martinez nehmen sich die Fesseln um die Handgelenke vor.
Widersprüchliche Emotionen rasen durch Martinez’ Kopf, als er sich dem Knoten widmet. Er riecht die arme Frau, spürt das Fieber, das aus ihrem böse zugerichteten Körper strahlt. Die Luft stinkt nach Verzweiflung – eine Mischung aus altem Schweiß, schwärenden Wunden und brutalem Sex. Ihre Hose ist mit Gewebeband an die Hüften geklebt, das Material ist zerrissen und übersät mit nassen Spritzern jeglicher Art – Blut, Tränen, Samen, Urin, Spucke –, die sich während ihrer tagelangen Folter angesammelt haben. Ihre Haut wirkt gegeißelt, als ob jemand mit einem Bandschleifer über ihre Arme und Beine gegangen ist.
Martinez kämpft innerlich gegen das Verlangen an, ein Geständnis abzulegen. Er will ihnen alles sagen, alles verraten. Ein Schleier fällt vor seine Augen. Er fühlt sich benommen, ihm wird schlecht. Ist so etwas denn wirklich nötig, um die Sicherheit dieser kleinen Scheißstadt zu gewährleisten? All das, um einen winzigen taktischen Vorteil zu erlangen? Was in Gottes Namen hat diese Frau nur getan, um das zu verdienen? Einen Moment lang stellt Martinez sich vor, dass der Governor ihm das antut. In seinem ganzen Leben ist Martinez noch nie so verwirrt gewesen.
Endlich haben sie die Fesseln gelöst, und die Frau bricht keuchend auf dem Boden zusammen.
Die anderen schauen zu, während Michonne sich auf dem Estrich windet, auf dem Bauch liegen bleibt, das Gesicht zu Boden gepresst. Rick kniet sich vor sie hin. Die Frau ringt nach Luft, versucht sich aufzurichten, sich zu orientieren. Dann sagt er: »Brauchst du …?«
Sie stößt sich von dem Boden ab, hockt eine Weile da und schüttelt dann mit einem lauten Schnauben sämtliche Schmerzen ab. Respekt!
Rick und die anderen starren sie an. Von ihrem plötzlichen Energieschub in den Bann gezogen, stehen sie lautlos um sie herum, sprachlos, planlos. Wie sollen sie es schaffen, dieses Wrack aus der Stadt zu schleusen? Sie macht den Anschein einer Querschnittgelähmten, die sich aus dem Rollstuhl hebeln will.
Plötzlich richtet sie sich auf. Die Wut treibt sie an. Sie ballt die Hände zu Fäusten. Sie schluckt den Schmerz runter und blickt sich in der Zelle um. Dann wendet sie sich an Rick und sagt mit einer Stimme, die nach völlig zerkratzter Schallplatte klingt: »Worauf warten wir noch? Nichts wie los!«
Aber sie sollen nicht besonders weit kommen. Nachdem sie das untere Kellergeschoss hinter sich gelassen haben, eine Treppe hochgegangen sind und an das Ende des Hauptgangs gelangen – Michonne führt sie jetzt an –, hält die schwarze Frau plötzlich inne und hebt eine Hand in warnender Geste in die Luft. »Stopp! Da kommt jemand.«
Die anderen halten an. Martinez drängelt sich an ihnen vorbei, geht zu Michonne und flüstert ihr ins Ohr: »Lassen Sie mich das machen. Keiner weiß, was ich vorhabe. Die dürfen Sie nicht zu Gesicht bekommen.«
Ein Schatten erscheint um die Ecke, Schritte kommen näher.
Martinez tritt ins Licht, das das Aufeinandertreffen zweier Tunnel markiert.
»Martinez?« Dr. Stevens zuckt erschreckt zusammen, als der Mann mit dem Kopftuch plötzlich vor ihm auftaucht. »Was machst du denn hier unten?«
»Äh, Doc … Wir wollten dich gerade abholen.«
»Gibt es ein Problem?«
Martinez schaut ihn ernst und durchdringend an. »Wir hauen ab … verlassen die Stadt. Und wir wollen, dass du mit uns kommst.«
»Was?« Dr. Stevens blinzelt und legt den Kopf zur Seite, als er versucht, den Sinn in dem zu ergründen, was Martinez ihm sagt. »Wer ist wir? «
Martinez wirft einen Blick über die Schulter und winkt den anderen zu. Der Arzt starrt gespannt in die Richtung und sieht, wie Rick, Michonne, Glenn und Alice schüchtern aus dem Schatten treten und sich im harschen Licht der Neonröhre vor ihm aufstellen. Sie blicken ihn angespannt an, und er erwidert ihren Blick, versucht, in der Eile eine Entscheidung zu treffen.
»Hey, Doc«, sagt Rick schließlich. »Was sagen Sie? Kommen Sie mit oder nicht?«
Die Miene des Arztes verwandelt sich langsam. Seine Augen hinter der Drahtgestellbrille werden
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