The Walking Dead 3: Roman (German Edition)
woanders gebraucht oder was?«
Martinez greift nach dem Maschinengewehr und fährt mit derselben Stimme voll liebevoller Strenge eines Haustierbesitzers fort: »Frag nicht weiter nach. Ich tue dir gerade einen Gefallen, Kleiner. Reich mir die Waffe, bedank dich und genieß die unerwartete Freizeit.«
Der Junge starrt ihn an und reicht ihm sein Maschinengewehr. »Äh … Klar.«
Dann macht er sich auf den Weg und murmelt unentwegt: »Klar doch … Logisch, Mann … Sie haben hier das Heft in der Hand … Ich arbeite hier nur.«
Die anderen drängen sich in den Eingang eines Gebäudes, bis die Wache an ihnen vorbeigeschlendert ist, die Gasse hinter sich gelassen hat und in der Nacht verschwunden ist, die ganze Zeit irgendeine Hip-Hop-Hymne summend. Nachdem der Junge um die Ecke gebogen ist, nickt Rick dem jungen Asiaten zu, und sie schleichen wieder in die Gasse – einer nach dem anderen –, eilen die gesamte Länge der dunklen, stinkenden, müllübersäten Passage entlang.
Martinez wartet auf sie auf dem Hochsitz und starrt sie eindringlich an. »Jetzt aber los!«, ruft er und winkt sie heran. »Wir müssen nur noch über die Barrikade, dann haben wir es geschafft.«
Die Gruppe versammelt sich am Fuß des Verteidigungswalls.
Martinez wirft ihnen erneut einen Blick zu. »Das ist bisher besser gelaufen, als ich es mir erhofft habe, aber wir müssen uns trotzdem beeilen. Die Schergen des Governors könnten jeden Augenblick um die Ecke biegen.«
Rick schaut ihn an und hält seinen Stumpen. »Schon gut, schon gut … Glauben Sie denn etwa, dass wir nicht hier rauswollen?«
Martinez setzt ein nervöses Lächeln auf. »Yeah, Sie haben wohl recht.«
Hinter Rick ertönt eine Stimme, die Martinez zuerst gar nicht wahrnimmt.
Rick erschrickt, dreht sich um und blickt Michonne an. Glenn tut es ihm gleich, gefolgt von Alice und Dr. Stevens, und sie starren die schwarze Frau an, die im Schatten steht und grimmig, beinahe stoisch in die Nacht schaut.
»Ich bleibe hier«, verkündet sie mit einer solch kalten und entschiedenen Stimme, als ob sie ihren Namen, Rang und Dienstnummer bei der Armee angeben würde.
»Was?« Glenn glotzt sie an, kann seinen Ohren nicht trauen. »Was zum Teufel faselst du da?«
Michonne erwidert den Blick des jungen Mannes mit ihren unergründlichen, dunklen Augen. Ihre Stimme ist so ruhig wie die eines Priesters, der die Heilige Schrift zitiert. »Ich werde dem Governor noch einen Besuch abstatten.«
Sechzehn
D ie Stille, die Michonnes Aussage folgt, scheint die gesamte Gruppe für einen Augenblick in Bann zu halten, und es dauert eine Weile, bis die Konsequenzen ihrer Absicht einem nach dem anderen klar werden. Sie tauschen unbehagliche Blicke aus, als ob jeder Augenkontakt eine Krankheit übertragen könnte. Niemand redet über das, was sie mit Philip Blake vorhat – niemand wagt es, über die genaueren Einzelheiten auch nur ansatzweise nachzudenken. Und genau das ist es, was ihnen am meisten Angst macht. Als die Stille sich dehnt und die dunkle, stinkende Gasse erfüllt, wird Martinez – wie er von seinem erhöhten Standpunkt auf das Geschehen unter sich schaut – klar, dass Michonnes eiserne Entschlossenheit etwas anderem als bloßer Genugtuung entspringt. In diesen brutalen Zeiten besitzt Rache – wenn auch ein niederer, gemeiner, menschlicher Instinkt – eine beinahe apokalyptische Unvermeidlichkeit. Rache ist ein Bestandteil des alltäglichen Lebens, genauso wie das Zertrümmern der Schädeldecken von lebenden Toten oder das hilflose Zusehen, wenn sich eine geliebte Person in einen Zombie verwandelt. In dieser neuen, grässlichen Welt werden infizierte Teile rasch abgesondert, weggeätzt. Das Böse im Menschen gibt es nicht nur in Legenden, Krimis oder irgendwelchen Serien. Nein, es gleicht vielmehr krankem Vieh, das von der Herde getrennt werden muss. Es ist wie ein kaputtes Teil, das es zu ersetzen gilt. Niemand, der jetzt am Fuße des Verteidigungswalls steht, kann Michonne etwas vorwerfen. Auch ist niemand überrascht von ihrer plötzlichen und unerbittlichen Entscheidung, sich zurück in die Höhle des Löwen zu begeben, um die Krebszelle, die ihr Unwesen in der Stadt treibt – den Mann, der sie entweiht hat – zu finden. Doch macht diese Erkenntnis es nicht leichter.
»Michonne, ich glaube nicht …«, will Rick Einspruch erheben.
»Ich werde schon wieder zu euch aufschließen«, fällt sie ihm ins Wort. »Oder auch nicht.«
»Michonne …«
»Ich
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