Thea und Nat
Nat.
»Gott hat Ihnen ein schweres Schicksal gegeben«, sagte die Frau.
»Doch er steht Ihnen bei«, sagte die Gefährtin.
»Ja«, sagte Nat.
Er hörte Thea die Treppen hochkommen.
»Lesen Sie. Dann erfahren Sie mehr von uns.«
»Bitte nehmen Sie den Aufzug«, sagte Nat.
»Ist das hier das oberste Stockwerk?« fragte die Gefährtin.
»Ja«, sagte Nat.
Er kam in das Treppenhaus vor und drängte die Frauen zum Aufzug. Die Tür schloß sich hinter ihnen, als Thea die letzte Treppe nahm.
»Du hattest Besuch?«
Nat hielt ihr das Heftchen hin.
»Gott hat mir ein schweres Schicksal gegeben«, sagte er.
»Ja«, sagte Thea, »das wissen wir.«
»Hast du deinen Informanten getroffen?«
»Ja«, sagte Thea. »Ich glaube nicht mehr an ihn.«
»Das heißt?«
»Daß du lügst«, sagte Nat.
Thea ging zur Tür und schob sie auf. Sie sah ihn fast liebevoll an, als er an ihr vorbei in die Wohnung kam.
»Nächste Woche bist du mich los«, sagte sie.
Ein Tisch, ein Bett, ein Schrank. Zwei Stühle.
Das erste Zimmer, das nicht mit Möbeln vollgestellt war. Thea hatte schon die zwei Hundertmarkscheine in der Hand, als der Mann hereinkam. Er baute sich so dicht vor Thea auf, daß sie dachte, seinen Schweiß auf der Haut zu haben.
»Ich kann Ihnen noch Klamotten aus dem Keller holen.«
Thea schüttelte den Kopf. Die Hunderter klebten in ihrer Hand. Ihr war heiß. Der elektrische Heizofen, der in einer Ecke des Zimmers stand, konnte kaum Schuld daran haben.
»Dann lassen Sie mal die Blauen los.«
Thea rückte ein Stück von dem Mann ab und stieß sich an dem vergilbten Knopf der Tischschublade.
»Elfenbein«, grinste er, »alles vom Feinsten hier.«
Thea drehte sich um und sah auf die Korkplatte des Tisches. In den Ritzen saßen Krümel und Reste von Salz.
»Ich hab' eben mit einem telefoniert. Der hätte das Zimmer genommen. Ich hab' gesagt, Sie haben es schon.«
Der Mann versuchte nach ihrer Hand zu greifen.
Thea zog die Hand zurück und steckte sie in die Manteltasche.
»Sagen Sie nur, ich gefalle Ihnen nicht.«
Thea ging aus dem Zimmer in den Flur.
»Zicke«, sagte der Mann, als sie die Tür öffnete.
Thea nahm zwei Stufen auf einmal. Beinahe hätte sie mitten auf der Treppe die Balance verloren. Als sie nach dem Geländer griff, merkte sie, daß sie noch immer die Hundertmarkscheine in der Hand hielt. Das war das vierte Zimmer gewesen.
Der Zettel klebte an der Ladentür. Thea las ihn, als sie zum zweitenmal auf die Klinke drückte. Das Schild mit den Öffnungszeiten hing neben dem Zettel. Seit einer halben Stunde sollte der Laden auf haben. Thea brauchte die Zeitung dringend. Alle die anrufen, die sie vorher außer acht gelassen hatte. Vielleicht noch einen Hunderter drauflegen. Sie konnte das Auto verkaufen. Fürs erste.
Ein Zimmer zu zweihundert am Paulinenplatz.
Thea las den Zettel und hatte Not, den Namen im Kopf zu halten. Ihr Gehirn schien zu zerbröseln.
Das erste Zimmer, das schon vermietet war. Nat legte den Hörer auf und nahm die Zeitung. Einmal Wohlwillstraße ohne Namen und ohne Hausnummer. Er konnte nur hoffen, daß es eine kurze Straße war. Der Stadtplan lag im Auto.
In Theas Auto, fiel ihm ein, als er im Jaguar saß.
»Schlachthofgegend«, sagte der Mann an der Tankstelle.
Nat fuhr nicht in die Wohlwillstraße.
Wenn es auch in der Stadt jede Menge Jaguars gab, in der Gegend war der Wagen noch auffällig.
Nicht nur der Wagen, dachte Nat, nachdem er an einem Platz geparkt hatte, der neben der Wohlwillstraße lag.
Auf der Parkbank ein paar Meter vor ihm saßen drei alte Männer und ließen ihn nicht aus den Augen.
»Komm her«, sagte einer, »trink einen Schluck.«
Er wischte mit dem Handballen über den Hals einer Flasche und hielt sie Nat hin. Nat kam näher.
»Tut mir leid«, sagte er, »ich habe keine Zeit.«
Der Alte klopfte auf sein steifgestrecktes Bein.
»Haben mir die Tommies weggeschossen.«
Nat nickte.
»Kann kein Kriegskamerad sein«, sagte der Mann, der in der Mitte saß, »ist doch viel zu jung.«
»Zu jung«, grölte der Mann mit der Flasche, »bist wohl mit deiner Maschine auf den Arsch gefallen.«
Nat zuckte die Achseln. »So ähnlich«, sagte er.
»Ist doch alles eine Scheiße. Trink schon.«
Nat nahm die Flasche, wischte über den Hals und trank.
»Keinen schlechten Zug«, sagte der Alte.
»Die Wohlwillstraße, ist die nur da vorne?« fragte Nat.
»Kennst du die Wohlwillstraße?« fragte der Alte und sah den dritten an, der noch gar nichts gesagt
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