Themba
Nelisa gibt es noch eine andere Nachbarin, die durchaus freundlich ist und Mutter, schon bevor wir kamen, ab und zu etwas zu essen zugesteckt oder ihre Kleidung mitgewaschen hat, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Leider, so erzählt sie uns, ist sie nur vorübergehend hier. Nach etwa einem Monat verabschiedet sie sich eines Morgens von Mutter und uns, um zurück nach eBayi zu fahren, wo die meisten ihrer Kinder wohnen. Ein paar Haushaltsgegenstände - einige Teller, einen Topf und eine große Plastikschüssel - überlässt sie uns, ohne dafür Geld zu verlangen.
Ebenso wie daheim in Qunu gibt es in der Nähe des Townships eine große Straßenkreuzung, wo frühmorgens viele arbeitslose Männer stehen und auf Jobs als Tagelöhner hoffen. Ab dem dritten Tag, als unser Geld aufgebraucht ist, gehe auch ich dorthin. Erst klappt es nicht, weil ich immer noch barfuß bin und offensichtlich keiner einen Job für jemanden hat, der nicht einmal Schuhe trägt. Dann jedoch kann ich von einem der anderen Männer ein Paar gebrauchte Arbeitsstiefel gegen eine meiner langen Hosen eintauschen. Von nun an gelingt es mir ab und zu, auf einer Baustelle als Handlanger eines Maurers zu arbeiten, einmal sogar an fünf Tagen hintereinander.
Von dem Lohn kaufen wir nicht nur Lebensmittel und Paraffin für den kleinen Kocher, sondern auch eine Bluse und einen Rock für Mutter aus einem Secondhandladen in Fish Hoek. Nomtha hilft ebenfalls, indem sie ihre Brenda-Fassie-CD und noch ein paar andere Dinge verkauft. Sie ist noch zu jung, um sich um Arbeit zu bewerben, und außerdem wollen wir Mutter nicht so lange allein lassen.
Einmal halte ich die hellblaue Karte mit der Telefonnummer von Big John in der Hand und überlege hin und her, ob ich ihn anrufen soll. Aber ich hätte ja gar keine Zeit, zu einem regelmäßigen Training zu kommen. Und ihn einfach so um Hilfe zu bitten, wage ich nicht. Noch nicht.
Mutter bleibt vorerst körperlich sehr schwach. Ab und zu hat sie hohes Fieber ohne ersichtliche Ursache, das aber zum Glück immer wieder nach wenigen Tagen von selbst zurückgeht. Regelmäßig wachen wir nachts auf, wenn sie von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt wird. Mehrmals versuchen wir, sie zu überreden, mit zu Sister Princess in die Tagesklinik zu kommen. Aber Mutter sagt, dass sie warten möchte, bis sie sich so weit erholt hat, dass sie den Weg dorthin aus eigener Kraft schafft.
»Wenn ich an eurem Arm durchs halbe Township wanke, dann gibt es noch mehr Gerede.«
Und es scheint, als würde ihre Beharrlichkeit belohnt. Ab und zu schläft sie jetzt eine ganze Nacht durch. Allmählich nimmt sie sogar wieder etwas zu und an manchen Tagen hilft sie Nomtha beim Kochen oder Wäschewaschen.
Eines Morgens, als sie wie früher den Silberrahmen mit Vaters Foto sorgfältig mit einem kleinen Tuch poliert, hält sie plötzlich inne und fragt Nomtha und mich, die wir gerade aufgewacht sind und uns noch den Schlaf aus den Augen reiben: »Habe ich euch eigentlich von jenem Mann erzählt, den ich kurz nach meiner Ankunft in iKapa traf und der meinte, er würde euren Vater kennen?«
Mit einem Schlag sind wir beide hellwach.
»Und?«, fragt Nomtha.
»Ich hatte damals für ein paar Tage das Zimmer von Mama Zaneles Freundin übernommen. Nebenan wohnte der Gärtner der weißen Familie. Er sah eines Abends das Foto und fragte, ob Vuyo Matakane ein Bruder oder ein anderer Verwandter sei. Ich antwortete nur: Ja, ein anderer Verwandter, denn ich kannte den Gärtner ja kaum und wusste nicht, ob ich ihm vertrauen konnte.« Mutter muss nach der langen Rede erst wieder tief Atem holen. »Dann sagte er, dass er früher mit Vuyo in einer politischen Gruppe in Soweto gearbeitet habe. Später, also nach dem Ende der Apartheid, hätten einige Genossen behauptet, dass Vuyo im Gefängnis andere an die Polizei verraten hätte. Der Gärtner meinte, dass das für Vuyo ganz schlimm gewesen sein muss, schließlich hat er für die Freiheit sein Leben eingesetzt. Und dann solche Beschuldigungen von den eigenen Freunden...«
Mir fällt auf, dass Mutter uns gegenüber nicht von »unserem Vater« spricht, sondern seinen Vornamen nennt.
»Wusste der Gärtner nicht, wo Vater heute lebt?«, frage ich nach.
Mutter schüttelt den Kopf: »Nein. Er hatte ihn vor mehreren Jahren zuletzt gesehen. Er wusste nur, dass Vuyo damals mehrere ehemalige Genossen aufgesucht hat, um ihnen zu beweisen, dass er nie jemanden verraten hat.« Und dann fügt sie beinah stolz hinzu:
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