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Themba

Themba

Titel: Themba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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aber bei der dritten Hütte habe ich Erfolg. Ein Mädchen von etwa zehn Jahren schaut mich durch einen Spalt neugierig an.
    »Ist deine Mutter zu Hause?«, frage ich sie freundlich.
    Sie schüttelt den Kopf, macht aber die Tür weiter auf, da sie nun auch Nomtha entdeckt hat.
    »Kannst du uns einen Eimer zum Wasserholen borgen?«, hakt Nomtha nach.
    Jetzt nickt das Mädchen, verschwindet in ihrer Hütte und reicht mir kurz darauf einen beinah neuen Plastikeimer. »Ich heiße Nelisa«, sagt sie.
    »Und ich Themba!« Wir geben einander die Hand.
    »Und deine Freundin?« Nelisa scheint froh zu sein, neue Gesichter zu sehen.
    »Das ist meine Schwester!« Ich lache und Nelisa lacht auch. Während ich mich auf den Weg zum Wasserhahn mache, setzt sie sich neben Mutter und Nomtha auf die Erde und betrachtet fasziniert Nomthas grünes T-Shirt. Sie scheint keine Angst zu haben und ich spüre bei ihr keine Ablehnung gegen Mutter.
    Als ich mit einem Eimer frischen Wassers zurückkomme, hat der Regen endlich völlig aufgehört. Eine nach der anderen öffnen sich jetzt weitere Türen. Hier und da hängen Menschen Handtücher und Bettzeug zum Trocknen über kreuz und quer gespannte Drähte und Plastikleinen. Doch obwohl die Menschen hier so dicht beieinander wohnen, spricht uns niemand an. Niemand fragt uns, wer wir sind, niemand will unsere Namen wissen.
    Wir stützen Mutter, damit sie sich erheben kann. Mit steifen Schritten geht sie mit Nomtha in die Hütte, um sich dort von ihr waschen zu lassen.
    »Kann ich Mama deinen Pullover geben?«, fragt Nomtha noch, bevor sie die Tür von innen schließt.
    »Ja, logisch!«, rufe ich zurück. Zu Nelisa sage ich: »Wir bringen dir den Eimer nachher rüber, ist das in Ordnung?«
    »Ist gut.« Sie wendet sich ab, um zu ihrer Hütte zurückzukehren.
    »Nelisa, darf ich dich was fragen?«
    Nelisa dreht sich um und nickt. »Was denn?«
    »Warum sind die Menschen so abweisend zu unserer Mutter?«
    Sie senkt ihre Stimme: »Wisst ihr es wirklich nicht?« Und nach einer Pause noch leiser: »Sie hat AIDS, jeder weiß das hier!« Es scheint, als sei es auch Nelisa verboten, mit Mutter zu sprechen oder sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Offenbar hat sie trotzdem beschlossen, sich nicht daran zu halten.
    » Enkos’ - danke, Nelisa«, sage ich genauso leise. Ihr Lächeln, bevor sie wieder in ihrem kleinen Haus verschwindet, tut gut.
    Mutter hat AIDS! Mutter hat AIDS! Mutter hat AIDS! Der Gedanke schießt wie ein greller Blitz in meinem Kopf hin und her. Gleichzeitig bin ich erstaunlich ruhig. Jeder kennt inzwischen jemanden, der AIDS hat oder dessen Verwandter oder Freund daran erkrankt oder gestorben ist. Warum also immer wieder diese Geheimniskrämerei, das Schweigen, die Ablehnung, all das Getue, als wäre das keine Krankheit, sondern ein böser Fluch? Wenn unsere Mutter jetzt irgendetwas vor allem anderen auf der Welt nötig hat, dann sind es Liebe und Sorge anderer Menschen. Obwohl die Wahrheit so schrecklich ist, danke ich doch Gott, dass er uns gerade noch rechtzeitig hierher geschickt hat. Ich weiß zu wenig, warum manche Menschen an AIDS ganz schnell sterben und andere offensichtlich viele Jahre damit leben können. Aber eins steht fest: Nie werden wir unsere Mutter im Stich lassen, niemals. Und ich weiß, dass Nomtha genauso darüber denkt.
    Als hätte sie gespürt, dass ich gerade an sie gedacht habe, öffnet Nomtha in diesem Moment die Tür und winkt mich herein. »Schau mal«, sagt sie leise.
    Mutter liegt auf der trockenen Seite der Matratze und lächelt. Ich kenne dieses Lächeln. Da braucht sie nichts weiter zu sagen. Mutter ist stolz auf uns. Sie trägt meinen viel zu großen, aber warmen Wollpullover und eine etwas zu kurze weite Stoffhose von Nomtha, die sich am Bauch nicht schließen lässt. Aber ihr Haar ist ordentlich frisiert und die vorhin noch trockene, aufgesprungene Haut im Gesicht ist sorgfältig eingecremt. Ihr Kopf ruht auf einem unserer als Kissen ausgestopften Jutesäcke.
    »Euch hat Gott gesandt«, sagt sie, und mir ist, als würde ihre Stimme schon nicht mehr so heiser klingen. Erst jetzt scheint sie meine Wunde am Kopf zu bemerken. »Hattest du einen Unfall beim Fußball, Junge?«, fragt sie besorgt.
    Ich schüttle den Kopf. Bestimmt darf sie sich nicht aufregen. Aber lügen möchte ich auch nicht. Bevor mir eine passende Formulierung einfällt, entscheidet sich Nomtha für die Wahrheit und erklärt: »Das war Onkel Luthando. Es ging am Ende einfach nicht mehr. Auch

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