Themba
sagte mir der Doktor vom Nachtdienst, dass die Kinder der Frau noch immer hier warten.«
»Kann Mutter wieder mit uns kommen?«, fragt Nomtha.
»Ausgeschlossen«, entgegnet Sister Princess. »Sie muss vorerst hier bleiben, aber ihr könnt sie jeden Tag besuchen. Bald werden wir mehr wissen.«
Fünf Tage lang wechseln Nomtha und ich uns mit Besuchen am Vor- und Nachmittag ab. Anfangs dürfen wir jeweils nur für wenige Minuten zu Mutter. Mehrere Schläuche führen aus ihrem Arm und ihrer Brust zu verschiedenen Flaschen und Geräten. Nicht einmal haben wir bisher mit ihr reden können. Sie scheint die meiste Zeit zu schlafen - oder ist sie zwischendurch immer wieder bewusstlos? Auf alle Nachfragen erhalten wir immer die gleiche Antwort: Wir sollen die Ergebnisse der verschiedenen Tests abwarten.
Am sechsten Tag bittet uns Sister Princess an einem Morgen, an dem wir gemeinsam im Krankenhaus sind, schließlich in ein Nebenzimmer, in dem nur ein Schreibtisch und ein paar Stühle stehen. Sie schließt die Tür und setzt sich uns genau gegenüber. Dann beginnt sie zu reden.
Ngoku okhanye hayi uyeke
Jetzt oder nie
»Eure Mutter wird nicht zu euch ins Township zurückkehren können...«, beginnt Sister Princess, ohne lange drum herum zu reden. »Sie hat wie durch ein Wunder, wahrscheinlich noch bevor ihr kamt, zwei oder drei schwere Lungenentzündungen überlebt, die sie wegen der Infektion mit HIV, dem Virus, das AIDS verursacht, bekommen hat. Davon ist ihre Lunge so beschädigt, dass sie ab jetzt ständig ärztlich betreut werden muss.«
Ich spüre, dass Sister Princess nicht nur eine Frau ist, der wir vertrauen können, sondern dass sie auch mehr weiß als alle, denen ich bisher begegnet bin. So schlimm die Nachricht über Mutters Gesundheitszustand ist, so wichtig ist es uns nun auch, endlich alles zu verstehen, was mit dieser Krankheit zu tun hat. Noch immer wird AIDS fast überall geleugnet und verschwiegen, selbst von Politikern und anderen gebildeten Leuten.
»Aber gibt es denn keine Medikamente gegen AIDS?«, frage ich.
»Doch, gibt es«, erklärt sie. »Allerdings kann man AIDS damit nicht heilen. Aber viele AIDS-Kranke können dadurch noch lange Zeit leben. Sie heißen Antiretroviral - Medikamente , viele nennen sie auch einfach Cocktail - Medizin , weil man immer drei verschiedene gleichzeitig nehmen muss. Inzwischen hat auch jeder Mensch in Südafrika das Recht auf diese Medikamente. Er bekommt sie sogar kostenlos, wenn er zu arm ist, um sie zu bezahlen. Aber die staatliche Verteilung funktioniert noch längst nicht überall und...« Hier macht Sister Princess eine lange Pause, »... sie wirken nur, wenn man nicht zu spät mit der Einnahme beginnt. Deshalb ist es so wichtig, sich möglichst früh testen zu lassen, um herauszufinden, ob man das HI-Virus im Blut hat. Wenn dieser Test positiv ausgeht, muss man noch einen zweiten Test machen. Dabei wird gemessen, wie viel von dem Virus bereits im Blut ist. Durch diesen zweiten Test, den eure Mutter noch nie hat machen lassen, haben wir festgestellt, dass sie viel zu lange gewartet hat.«
»Und was bedeutet das jetzt?«, bohrt Nomtha nach.
Äußerlich bleiben wir beide ruhig. Wir müssen um jeden Preis verstehen, was genau mit Mutter los ist und wie wir ihr am besten helfen können.
»Das bedeutet, dass sich in ihrem Blut schon so viele HI-Viren gebildet haben und ihr Körper durch all die Infektionskrankheiten, die sie deswegen bekommen hat, schon so geschwächt ist, dass die Medikamente ihr nicht mehr helfen werden. Wir können eurer Mutter nur noch traditionelle Medikamente gegen die Symptome geben und natürlich Schmerzmittel, um ihr Leiden zu lindern, so gut es eben geht.«
»Kann Mutter hier im Krankenhaus bleiben, sodass wir sie weiter regelmäßig besuchen können?«, fragt Nomtha. Ich bin stolz, wie selbstbewusst sie redet, obwohl sie doch gerade erst vierzehn geworden ist.
Sister Princess schüttelt den Kopf: »Nein. Wir bemühen uns um einen Platz in einem Hospiz, wo sie gut versorgt wird, bis... also bis...« Sie unterbricht sich und sucht nach den richtigen Worten. Zum ersten Mal spüren wir, dass ihr dieses Gespräch trotz allem, was sie schon erlebt haben muss, nicht leicht fällt.
Nomtha greift nach meiner Hand. Wir schauen uns kurz an und nicken einander zu. Wir wissen, was Sister Princess sagen will. Ich spüre, dass Nomtha gegen die aufkommenden Tränen kämpft. Ihre Mundwinkel zittern kaum merklich und sie hat die Lippen fest
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