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Themba

Themba

Titel: Themba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
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»Kannst du zurück zur Asphaltstraße laufen? Ich habe dort einen oder zwei Spaza-Shops gesehen, wo du bestimmt Brot, Milch und Obst kaufen kannst.« Ich zähle sorgfältig unser verbliebenes Geld... noch knapp über hundert Rand. Das ist nicht viel, aber es ist deutlich, dass Mutter nichts besitzt und wir davon erst mal so lange wie möglich überleben müssen. Nomtha wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und lächelt Mutter aufmunternd zu: »Ich gehe einkaufen, Mama. Genau wie früher.«
    Auch Mutter versucht ein Lächeln.
    Wir werden sicher bald erfahren, was in den vergangenen Monaten geschehen ist. Jetzt geht es erst mal ums nackte Überleben. Mutter hat kaum noch Kraft, sich überhaupt aufrecht zu halten, geschweige denn für lange Reden. Zum Glück ist der Wolkenbruch in ein leichtes Nieseln übergegangen. Von den Holzpaletten in Mutters Hütte ziehe ich eine, die noch relativ trocken ist, hinaus ins Freie, lege unsere beiden Jutesäcke wie Sitz und Lehne eines Sessels darauf und stütze dann Mutter so, dass sie sich erheben und die wenigen Schritte gehen kann, um sich dort niederzulassen.
    Dann verschaffe ich mir einen Überblick, welche der herumliegenden Holz- und Metallreste noch zu gebrauchen sind. Mit einer rostigen, in der Mitte durchgetrennten Blechdose, die ich als Schaufel benutze, trage ich zunächst die moddrige Schmutzschicht vom Boden ab und fülle den Grund so lange mit Sand aus dem Haufen vor der Hütte auf, bis es langsam trockener wird. Ein Loch im Dach kann ich mit einer größeren Metallplatte einigermaßen stabil abdecken.
    Ich wage Mutter nicht zu fragen, was aus ihren persönlichen Sachen, ihrer Kleidung und Luthandos Koffer geworden ist. Nur der silberfarbene Bilderrahmen mit Vaters Foto liegt am Kopfende ihres Lagers.
    Als ich aus der Hütte trete, sehe ich Nomtha mit einer Papiertüte neben Mutter sitzen. Sie reicht ihr eine Plastikflasche mit frischer Milch. Außer der feuchten Matratze, zwei schmuddeligen Decken und einem wackeligen Paraffinkocher kann ich keinen Gegenstand von irgendeinem Wert entdecken. Ich drehe die Matratze um und stelle fest, dass sie zumindest auf der anderen Seite trocken ist.
    Als die Hütte einigermaßen bewohnbar ist, setze ich mich draußen neben Nomtha und Mutter. Mein Magen knurrt, und das frische Brot und die reifen Bananen, die Nomtha gekauft hat, schmecken köstlich.
    Ihr offenbar einziges Kleid trägt Mutter am Leib. Es hat mehrere Löcher und ist vermutlich seit Tagen nicht mehr gewaschen worden.
    »Habt ihr hier irgendwo einen Wasseranschluss?«, frage ich Mutter mit vollem Mund.
    »Nicht hier«, sagt sie leise. »Aber dahinten.« Sie weist mit ihrem dünnen Arm in Richtung Hauptstraße.
    Während wir noch beieinander sitzen und essen, wird die Tür einer anderen Hütte ganz in der Nähe aufgeschoben und ein älterer Mann mit einem kleinen Jungen an der Hand schaut uns argwöhnisch an.
    »Molo Tata!« , grüße ich höflich.
    Er antwortet nicht, sondern schiebt nur den Jungen zurück in seine Hütte und fährt uns dann mit heiserer Stimme an: »Die Frau muss hier weg!«
    »Die Frau ist unsere Mutter!«, entgegne ich empört. »Wieso hat ihr keiner von euch geholfen?«
    »Da ist sie selbst dran schuld!«, krächzt er und knallt dann seine wackelige Tür wieder zu.
    Entsetzt schauen Nomtha und ich zu Mutter, die während der kurzen Auseinandersetzung ihren Kopf gesenkt hat.
    »Warum ist der Kerl so unfreundlich, Mama?«, fragt Nomtha erbost und legt ihr beschützend einen Arm um die Schulter.
    Mutter hebt langsam den Kopf und schaut uns mit einem Blick an, der verrät, dass sie hier neben den körperlichen Leiden auch noch anderes Elend erfahren hat. Dann flüstert sie eine kurze Antwort, die wir beim ersten Mal beide nicht verstehen. Ein Hustenanfall schüttelt ihren geschwächten Körper, aber sie hält sich aufrecht. Das Sprechen bereitet ihr sichtlich Mühe, so als hätte sie starke Halsschmerzen. Aber sie versucht es erneut und jetzt können wir jedes Wort verstehen.
    »Die Menschen sind so dumm... so dumm!«, sagt sie als einzige Erklärung.
    Ich kann und will nicht glauben, dass alle Nachbarn hier so sind wie dieser alte Mann. Als Nächstes brauchen wir dringend einen Eimer oder eine große Schüssel, um Mutter waschen und ihr trockene, saubere Kleidung von uns anziehen zu können. Ohne weiter zu fragen, erhebe ich mich und klopfe an einige Türen, die wegen des anhaltenden feinen Regens beinah alle geschlossen sind. Erst öffnet niemand,

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