Themba
aufeinander gepresst.
Ich räuspere mich in dem Versuch, meine Stimme unter Kontrolle zu halten: »Wie lange wird Mutter noch leben?«
Sister Princess lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und antwortet mit zweifelndem Kopfschütteln: »Themba, das weiß allein Gott genau. Wir vermuten, dass sie noch ein paar Wochen oder Monate leben kann, aber wahrscheinlich kein ganzes Jahr mehr...«
Auch wenn deutlich ist, dass sie uns alles Wichtige gesagt hat, bringen es Nomtha und ich einfach nicht fertig, aufzustehen und zu gehen. Wir sind wie gelähmt, als hätte sich ein zentnerschweres Gewicht auf uns gelegt, das uns auf den Stühlen niederdrückt.
»Wollt ihr noch einen Moment allein hier im Raum bleiben?«, fragt Sister Princess leise.
Nomtha reagiert nicht, ich nicke stumm. Die Schwester erhebt sich leise und legt uns beiden beim Hinausgehen kurz ihre Hand auf die Schulter. Dann schließt sie die Tür von außen.
Lange bleiben Nomtha und ich wie erstarrt sitzen. Einmal versucht Nomtha, etwas zu sagen, bricht dann aber wieder ab. So viele Bilder fliegen wie vom Sturm getriebene Wolken durch meinen Kopf. Zu meinem Erstaunen sind es ausschließlich schöne Bilder von früher - aus der unbeschwerten Zeit mit Mutter, als wir noch jünger waren und gemeinsam gelacht und gesungen haben, als wir uns auf Mutters Essen nach der Schule freuten oder auf ihren Gutenachtkuss vor dem Einschlafen warteten …
Irgendwann fragt Nomtha: »Was ist ein Hospiz?«
Ich weiß es auch nicht genau. Ich vermute, dass es eine Art Krankenhaus ist für Menschen, die sterben müssen.
Endlich erheben wir uns mit steif gewordenen Gliedern von unseren Stühlen. Als wir die Tür öffnen, sehen wir die gewohnte Betriebsamkeit auf dem Krankenhausflur, als sei nichts weiter geschehen. Eine Krankenschwester scherzt mit einer Patientin, die eine zweite Portion Frühstück verlangt. Nur für uns hat sich alles verändert. Alles.
Wir gehen still zu Mutters kleinem Krankenzimmer, das sie mit einer anderen, viel älteren Frau teilt, die ebenfalls immer zu schlafen scheint und wie Mutter mit Drähten und Schläuchen an verschiedene Apparate angeschlossen ist. Wir setzen uns neben Mutters Bett und schauen sie an... viele Stunden lang, stumm und ohne uns viel zu bewegen. Manchmal verschwimmt ihr Bild vor meinen Augen, und dann gelingt es mir, hinter den eingefallenen Gesichtszügen unsere schöne junge Mutter von früher zu erkennen.
Erst am späten Nachmittag verlassen wir das Krankenhaus und gehen, noch immer schweigend, zur Haltestelle der Minibusse, um zurück ins Township zu fahren.
Am Abend, als Nomtha auf Mutters Bett eingeschlafen ist, sitze ich noch lange bei Kerzenlicht und schreibe einen ausführlichen Brief an Sipho. Niemand außer Nomtha kann mich in diesen Stunden so verstehen wie er.
Mutters Überweisung in ein staatliches Hospiz in Bellville, einem Stadtbezirk weit im Norden von iKapa, findet bereits drei Tage später statt.
»Wir brauchen hier einfach die Betten«, sagt Sister Princess. Als sie unsere bekümmerten Gesichter sieht, fügt sie hinzu: »Dort wird sie gut versorgt, ganz bestimmt.«
Obwohl das normalerweise nicht gestattet ist, dürfen wir wieder im Krankenwagen mitfahren, als Mutter an einem Vormittag vom Kreiskrankenhaus in das Hospiz nach Bellville transportiert wird. Bis auf den durchsichtigen Schlauch von ihrer Nase zur Sauerstoffflasche werden für die Fahrt alle anderen Kabel und Schläuche entfernt. Bis dahin konnten wir immer noch nicht mit Mutter sprechen. Einmal hat sie für eine Weile die Augen weit geöffnet, aber sie schien uns nicht zu erkennen, sondern starrte nur stumm an die Decke, bis sie nach etwa zwanzig Minuten wieder einschlief.
Nach etwa einer Stunde Fahrt, zum Teil über die große Autobahn Richtung Flughafen, rollt der Krankentransporter noch eine Weile durch eine eher ärmliche Wohngegend, bevor wir vor einem mit einfachem Maschendraht bespannten Tor stehen bleiben und der Fahrer mehrmals hupt. Endlich kommt ein älterer Mann schlaftrunken aus einem kleinen Schuppen heraus und öffnet umständlich eine Seite des quietschenden Tores, nur gerade so weit, dass wir auf das Hospizgelände fahren können. Seine Uniformmütze sitzt schief, als wir langsam an ihm vorbeirollen.
Die Fenster des Krankenwagens sind aus Milchglas, nur durch einen schmalen Spalt an der Seite kann man etwas sehen. Wir erkennen mehrere Steinbaracken, die sich wie bei einem Militärlager in Reihen über ein weites Gelände
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