Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Themba

Themba

Titel: Themba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lutz van Dijk
Vom Netzwerk:
darum haben wir uns aufgemacht, um herauszufinden, was aus dir geworden ist. Und um wieder mit dir zusammen zu sein.«
    Mutter winkt mich zu sich ans Bett und deutet mir an, mich zu ihr hinunterzubeugen. Dann betastet sie vorsichtig die Wunde an meinem Kopf. »Hat er dir sonst noch etwas getan?«, flüstert sie mit Tränen in den Augen und unterdrückt einen neuen Hustenanfall.
    Diesmal entscheide ich mich für eine glatte Lüge: »Nein, Mama.«
    Dann soll sich auch Nomtha ganz dicht zu ihr setzen. Sie ergreift je eine unserer Hände mit ihren mageren Fingern und holt einmal tief Luft, bevor sie spricht: » Bantwana bam - meine Kinder, ich habe so oft gebetet, dass meine Kraft noch reicht, um euch wiederzusehen. Und Gott hat meine Gebete erhört. Ich habe ihm aber auch versprochen, dass ich mit euch, meinen Kindern, ganz ehrlich sein werde...« Sie hält einen Augenblick inne und schaut uns still an. Wir nicken schweigend. Mutter hustet ein paarmal und fährt fort: »Am Anfang ging hier alles so gut, wie ich es euch in meinen ersten Karten geschrieben habe. Aber dann wurde ich plötzlich immer öfter krank. Ich hatte schreckliche Angst, dass es jene Krankheit sein könnte, deren Namen viele Menschen nicht einmal auszusprechen wagen...« Mutter muss eine kurze Pause machen, um wieder zu Atem zu kommen. »Damit hier niemand Verdacht schöpft, ging ich zum Kreiskrankenhaus nach Fish Hoek, um einen Test zu machen. Ein paar Tage später hatte ich Gewissheit. Damals habe ich euch alles Geld geschickt, das ich noch besaß, weil ich nicht wusste, was werden sollte, und immer nur an euch denken musste.«
    Nomtha hat sich eine Faust vor den Mund gepresst. Trotzdem kann sie jetzt einen entsetzten Aufschrei nicht unterdrücken.
    Ich lege meinen freien Arm um sie und sage leise: »Ja, Mama hat AIDS, aber jetzt sind wir doch bei ihr.«
    Nomtha wird von einem heftigen Schluchzen überwältigt, das einige Minuten dauert. Als sie sich etwas beruhigt hat, fügt Mutter noch etwas hinzu, das nun wiederum mein Herz bis zum Hals klopfen lässt: »Ich weiß, dass ich durch Luthando infiziert wurde. Mehr als einmal habe ich ihm gesagt, dass er ein Kondom benutzen soll, aber er hat mich nur ausgelacht und gemeint, dass er ein Bonbon auch nicht mit Papier lutschen würde… Er ist der Einzige, bei dem ich mich infiziert haben kann.«
    Mein Herz klopft und klopft, als würde jemand mit einem Hammer auf eine gewaltige Eisentonne schlagen. Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn. Ich ziehe etwas zu schnell meine Hand von Mutter zurück und nehme meinen Arm von Nomthas Schulter. Keine darf mein Zittern spüren, das ich nur noch mühsam unterdrücken kann. Luthando, dieser elende Schuft, hat Mutter angesteckt... Und ich bin nicht so blöd zu hoffen, dass er ein Kondom benutzte, als er mich vergewaltigt hat. Hat er mich auch angesteckt? Werde auch ich in ein paar Wochen oder Monaten oder Jahren an AIDS erkranken?
    Natürlich hat Mutter etwas gemerkt. Auch Nomtha schaut mich plötzlich besorgt an. »Ist dir schlecht, Themba?«
    Ich springe auf und laufe vor die Hütte. Ich nehme eines der Abfallbretter und schlage damit so lange gegen einen Holzpfahl, bis das Brett zersplittert. Durch das Knallen aufgeschreckt, schiebt jener unfreundliche Alte erneut seine Tür auf und schaut neugierig hinaus. Mit einem Rest des zersplitterten Holzes in meiner Hand mache ich einen Schritt auf ihn zu. Ich sehe ein kurzes Erschrecken in seinen Augen, da hat er seine Tür schon wieder zugeknallt. Der wird in meiner Gegenwart jedenfalls keine dummen Sprüche mehr über Mutter machen.
    Von drinnen höre ich ihre schwache Stimme, von mehrmaligem Husten unterbrochen: »Themba, mein Junge… komm her!«
    Ich lasse das letzte Stück Holz fallen und gehe langsam zurück zu Nomtha und Mutter. Es ist das erste und einzige Mal, dass ich die Tränen nicht zurückhalten kann. Nomtha und ich sitzen wie kleine Kinder an Mutters Bett und weinen wie früher, als wir noch klein waren und Mutter uns getröstet hat. So wie damals, als mein erstes selbst gebasteltes Drahtauto in den Fluss gefallen war oder als Nomtha sich mit ihrer besten Freundin geprügelt und verloren hatte. Wie damals sagt Mutter gar nichts, sondern streicht uns nur zärtlich mit ihren Fingern übers Haar. Langsam und ganz sanft, von der Stirn bis zum Hinterkopf und zurück, beruhigend, liebevoll, immer wieder.

    In den nächsten Wochen gewöhnen wir uns erstaunlich schnell an die neue Lebenssituation. Außer

Weitere Kostenlose Bücher