Themba
gesamte Konzentration, um zu begreifen, dass das hier wirklich passiert, dass ich nicht aufwachen werde, sondern hellwach bin und lebe. Ich lebe! Und ich habe nur einen Wunsch: es so schnell wie möglich Nomtha zu erzählen. Und natürlich Mutter, auch wenn wir nicht immer sicher sind, wie viel sie noch hören und verstehen kann. Aber sie lebt noch immer, länger als Sister Princess damals vermutete - und sie kann fühlen. Die Wärme der Sonnenstrahlen vom Fenster neben ihrem Bett. Oder das weiche Kissen, mit dem wir ihr den Kopf abstützen, damit sie etwas mehr von ihrer Umgebung sehen kann als nur die weiß gekalkte Decke über sich. Und uns beide fühlt sie, wenn wir neben ihrem Bett sitzen und ihre Hand halten. Sie kann es zwar nicht mehr so deutlich zeigen, aber sie fühlt es ganz sicher.
Mithilfe von Schwester Ruth hat sie ein kleines Zimmer am Ende von Baracke sieben bekommen, wo es ruhiger ist. Nur noch drei andere Frauen teilen den Raum mit ihr, die ebenfalls meistens schlafen. Nomtha und ich haben durchgesetzt, dass sie ihre eigenen Nachthemden tragen darf, die ich von meinem ersten richtigen Lohn gekauft habe. Und auf einem kleinen Nachttisch neben ihrem Bett stehen zwei Fotos - eines in einem einfachen Holzrahmen, das wir von Nomtha und mir am Bahnhof haben machen lassen. Das andere von Vater im Silberrahmen, den Nomtha einmal pro Woche mit einem Taschentuch blank putzt. Manchmal hat Mutter länger als eine Stunde die Augen offen, und wenn wir eines der Fotos vor ihr Gesicht halten und es langsam bewegen, folgt ihm ihr Blick.
Mutter ist immer froh, wenn wir da sind. Da bin ich ganz sicher, auch wenn sie es nicht mehr sagen kann. Eine Entzündung hat ihre Stimmbänder für immer beschädigt und durch eine Lähmung wichtiger Muskeln an Kopf und Nacken haben sich ihre Gesichtszüge zu einer Maske versteift. Aber sie kann noch fühlen. Und ihre Augen freuen sich mit uns, wenn wir etwas Schönes zu berichten haben. Oder auch nur, wenn wir einfach da sind.
Wie ich es mir vorgenommen habe, schreibe ich nach der Zusage von John Jacobs gleich an Sipho und überweise ihm Geld auf eine Bank in Umtata. Einen Teil davon wird er Tatomkhulu bringen und vom Rest Bustickets kaufen.
Drei Wochen später holen Nomtha und ich ihn mit Jabu, Jama und der kleinen Nosipho vom Busbahnhof ab.
Sipho ist barfuß wie ich damals, als er aus dem Bus klettert. Mir fällt auf, dass er ein bisschen hinkt, aber ich schiebe es auf das lange Stillsitzen im Bus. Wir umarmen uns, ganz lange, sodass die anderen Leute schon anfangen, uns komisch anzustarren.
Erst später am Abend beginnen wir zu erzählen. Sipho berichtet, wie ihm Mama Zanele tatsächlich geholfen hat, seine Mutter zu begraben. Und dass sie und Tatomkhulu die Gebete gesprochen haben. Die Lion Strikers haben inzwischen einen eigenen Trainingsplatz in einer neuen High School in Qunu, Sipho selbst hat sich aber nach einer Beinverletzung auf einer Baustelle, die lange nicht gut heilen wollte, ziemlich zurückgezogen. Deshalb hinkte er auch, als er aus dem Bus stieg.
»Meine Fußballschuhe, die damals aus iKapa in einem großen Paket bei Andys Vater ankamen, habe ich aber noch!«
Er lächelt, als wolle er meine Sorgen wegen seiner Verletzung zerstreuen. Mein erster Eindruck hat mich leider nicht getäuscht: Sipho zieht wirklich sein linkes Bein leicht nach.
»Tatomkhulu passt jetzt auch auf unsere Hütte auf«, fährt Sipho fort. Weder er noch der Großvater haben anfangs glauben können, was in meinen letzten beiden Briefen stand - dass ich einen Vertrag bei Ajax Cape Town bekommen habe und all das. Aber Sipho war sicher, dass ich ihn nicht belügen würde.
»Außerdem hättest du dann ja kaum so viel Geld schicken können«, meint er. Damit hat er dann auch Tatomkhulu überzeugt.
Und schließlich ist Sipho mit seinen drei Geschwistern im Schlepptau aufgebrochen.
Die ersten Nächte schlafen wir zu sechst in unserem winzigen Shack , ganz dicht nebeneinander, wie Sardinen in der Dose. Aber dann gibt es mal wieder eins dieser höllischen Unwetter - ohne Vorwarnung fünf Stunden nur Sturm und Regenwasser wie aus Kübeln. Der reinste Weltuntergang. Danach steht alles gut zehn Zentimeter unter Wasser. Siphos Geschwister dürfen ab dann im Kinderhaus schlafen, wo Nomtha inzwischen jeden Nachmittag beim Saubermachen und Beaufsichtigen der Kleinen hilft. Es ist keine richtige Arbeitsstelle, aber sie bekommt etwas Taschengeld, kann dort abends mitessen und lernt viel über
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