Themba
Vielleicht ist es an der Zeit, dieses Township hier zu verlassen und in ein anderes weiter im Norden der Stadt zu ziehen.
»Warte doch erst mal die drei Monate ab«, meint Nomtha.
Dann machen wir uns auf zum Kinderhaus, das in einer ruhigen Seitenstraße hinter der Tagesklinik liegt. Nur deshalb ist es uns wohl noch nicht aufgefallen, denn es ist ein unübersehbar großes Steinhaus mit einem Spielplatz und einem großen Garten davor. Als wir uns nähern, sehen wir einen jungen Mann im Garten arbeiten, den Nomtha noch von gestern erkennt: » Molo , Lebo!«
» Molo , Nomtha, willst du helfen?«, fragt er freundlich zurück und stützt sich auf einen Spaten. Neben ihm stehen zwei Jungen von höchstens vier oder fünf Jahren und jeder hält eine große Mohrrübe in der Hand. Obwohl das Gemüse noch voller Erde ist, knabbern beide begeistert darauf herum.
»Ja, gern«, antwortet sie. »Darf ich vorher noch meinem Bruder euer Haus zeigen?«
» Wamkelekile - willkommen«, begrüßt Lebo nun auch mich. »Die größeren Kinder sind noch im Kindergarten oder in der Schule und die Kleinen schlafen. Am besten sprichst du erst mal mit einer der Frauen im Haus.«
Nomtha geht sicheren Schritts voraus, als wäre sie schon oft hier gewesen. Durch eine Seitentür kommen wir zuerst in eine Küche, in der auf einem Herd in zwei großen Töpfen etwas angenehm Duftendes gekocht wird. In dem Moment tritt aus einer Art Speisekammer eine rundliche Frau etwa in Mutters Alter und begrüßt erst Nomtha und dann mich: »Na, hast du tatsächlich deinen Bruder mitgebracht?«
»Er wollte es selbst«, antwortet Nomtha.
»Ich bin Mama Sandiswa«, sagt die Frau, gibt mir die Hand und fügt erklärend hinzu: »Es gibt immer noch Männer in Masiphumelele, die mit dem Kinderhaus nichts zu tun haben wollen.«
Ich blicke mich einmal kurz um und sehe einen geräumigen Flur, von dem mehrere kleine Zimmer abgehen. Eine Wand ist vom Fußboden bis zur Decke mit lauter bunten Tierbildern bemalt. Durch eine offen stehende Tür sehe ich mehrere kleine Bettchen, aus denen das sanfte Schnarchen von Babys zu vernehmen ist.
Bevor ich fragen kann, warum das Kinderhaus von manchen abgelehnt wird, fährt Mama Sandiswa fort: »Aber das wird sich ändern, es ist nur eine Frage der Zeit. Irgendwann wird niemand mehr AIDS ignorieren können.«
»AIDS?«, frage ich erstaunt.
Das Haus sieht nicht aus wie ein Krankenhaus, und die beiden Kleinen, die mit Lebo im Garten arbeiten, wirken ganz bestimmt nicht krank.
»Ja«, sagt Mama Sandiswa. »Alle unsere Kinder sind auf die eine oder andere Weise von AIDS betroffen. Entweder weil sie selbst infiziert wurden, zum Beispiel bei der Geburt, oder weil ihre Eltern sich nicht mehr um sie kümmern können, weil sie zu krank oder schon gestorben sind.«
»Und wo kommen die Kinder her?«, will ich wissen. Keiner unserer Nachbarn in den Wetlands hat je von Kindern mit AIDS gesprochen. Schon bei Mutter haben sie so ein Theater gemacht.
»Die kommen alle aus Masiphumelele«, antwortet Mama Sandiswa. »Sie und ihre Eltern. Und auch wir, die wir hier arbeiten. Leute aus dem Township haben gemeinsam mit Leuten von außerhalb das Kinderhaus geplant und gebaut. Und alle, die heute hier arbeiten, leben in Masiphumelele.«
Das gibt es also tatsächlich. Nicht nur Einzelne wie unsere frühere Nachbarin Mama Zanele oder Andys Mutter, die offen über die Krankheit sprechen - sondern Menschen, die etwas tun. Ganz normale Township-Bewohner wie Lebo, der Gärtner, oder Mama Sandiswa. Ob Nomtha ihnen von unserer Mutter erzählt hat?
Bevor ich fragen kann, kommen ein Junge und ein Mädchen in Schuluniform durch die Küchentür hereingerannt. »Können wir uns Brot nehmen?«, fragt das Mädchen, das vielleicht zehn oder elf ist.
»Es liegt für euch im Kühlschrank«, antwortet Mama Sandiswa.
Die beiden holen sich ihre Pausenbrote und laufen gleich wieder hinaus.
»Sie sind noch nicht lange bei uns«, sagt Mama Sandiswa schmunzelnd. »Sie vergessen ständig irgendwas. Aber immerhin gehen sie jetzt zum ersten Mal überhaupt zur Schule.«
Nomtha, die den beiden durchs Küchenfenster hinterhergeschaut hat, fragt: »Sind sie vorher noch nie in der Schule gewesen?«
Mama Sandiswa schüttelt den Kopf: »Nein, sie haben sich nur um ihre kranke Mutter gekümmert, bis zu deren Tod vor wenigen Wochen. Es ist ein Wunder, wie sie das in ihrem Alter geschafft haben. Sie haben länger als ein Jahr durchgehalten.«
»Ich habe auch einen Freund, der
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