Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
ungeachtet. Plötzlich war er mir sehr viel sympathischer.
„Will!“, rief Verne entnervt und warf die Hände in die Luft. „Mal ihr doch am besten eine Karte!“
„Klar, hast du einen Stift?“
„Ich meine, du kannst sie doch nicht geradewegs dorthin schicken!“
„Soll sie lieber ein paar Umwege machen?“
„Sie mag es nicht, wenn man in der dritten Person von ihr spricht!“, warf ich aufgebracht ein. „Kann mir jetzt vielleicht mal einer erklären, wie ich nach Tasek komme?!“
„Nein“, erwiderte Verne resolut. „Das ist viel zu gefährlich.“
„Ist es weniger gefährlich, wenn ich auf blöd Richtung Westen reite, bis ich sie finde?“, schlug ich vor. „Oder sie mich?“
„Nein, du solltest diese Kamikaze-Aktion komplett abblasen und nach Hause zu deinem Vater reiten.“ Ich hatte Verne noch nie so geladen erlebt.
„Mein Vater ist tot“, gab ich knapp zurück.
Das brachte ihn zum Schweigen. Er sackte in sich zusammen und blickte betreten vor sich hin. Nicht mal Will grinste mehr. Ich holte einen Stift aus meiner Tasche, zog die handgemalte Karte aus der Hosentasche und drehte sie um, sodass die weiße Seite nach oben zeigte. Zusammen mit dem Stift schob ich sie ihm über den Tisch zu. „Ich werde Polly finden und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Und ihr werdet mich nicht davon abbringen. Also zeichne mir jetzt verdammt noch mal auf, wie ich nach Tasek komme!“
„Es ist zu gefährlich“, beharrte Verne. „Ell, es nützt deiner Schwester nichts, wenn du dich umbringen lässt.“
„Mach dir nicht ins Hemd, Verne. Vielleicht schafft sie es ja. Sie ist gut.“
Verblüfft sah ich zu Will. Wie bitte?
Er meinte es ernst. In dem Blick, mit dem er mich begutachtete, lag definitiv eine Spur Bewunderung.
„Genau“, brachte ich hervor.
„Vielleicht sollten wir mitkommen …“, sagte Verne, mehr zu sich selbst.
„Vergiss es. Die anderen warten auf die Lieferung und wir sind ohnehin schon zu spät dran. Und Tasek liegt in der entgegengesetzten Richtung.“ Will nahm den Stift, setzte ihn aufs Papier, sah dann aber wieder zu mir auf und lächelte. „Nichts für ungut. Sonst würde ich dich natürlich liebend gerne auf deiner Selbstmord-Mission begleiten.“
Was sollte das denn jetzt? Versuchte er etwa mit mir zu flirten? Ich warf ihm einen eiskalten Blick zu und tippte wortlos mit dem Zeigefinger auf die Karte, aber das schien seine Belustigung nur zu vergrößern. Grinsend machte er sich an die Arbeit. Während Verne unentwegt vor sich hin brummelte, sah ich zu, wie die Linien auf dem Papier zu Wegen, Wäldern und Dörfern zusammenwuchsen. Eine sehr beruhigende Tätigkeit. So beruhigend, dass mir binnen weniger Minuten die Augen zufielen und mir der Ellenbogen vom Tisch rutschte. Ich erwachte gerade rechtzeitig, um meinen Kopf noch im freien Fall aufzufangen, und riss die Augen auf. Vor mir lag die fertige Karte. Will erklärte mir die einzelnen Stationen, dann faltete ich sie und steckte sie wieder ein.
„Danke“, murmelte ich.
„Du solltest dich ausruhen, bevor du aufbrichst“, riet mir Verne.
Ich schüttelte erschöpft den Kopf. „Nein. Ich muss los. Ich kann nicht noch mehr Zeit verschwenden.“
„Leg dich zumindest für eine Stunde aufs Ohr. Sonst schläfst du unterwegs ein, fällst vom Pferd und die Marodeure müssen dich nur noch einsammeln. Oben im Hotel gibt es jede Menge weicher Betten.“
Es klang verlockend, aber was war, wenn genau diese Stunde Verzögerung Polly das Leben kostete? Aber wie groß standen meine Chancen, sie zu retten, wenn ich mich, müde wie ich war, von den Vatwaka schnappen ließ?
Ich kämpfte mit mir, bis mir klar wurde, dass ich am allermeisten Zeit verschwendete, wenn ich noch länger pro und contra abwägte. „Na gut. Eine Stunde“, sagte ich und seufzte auf.
Will nahm meine Taschenlampe vom Tisch und stand auf. „Komm mit, ich zeige dir den Weg.“
Ich sammelte meine Sachen ein und folgte dem Lichtkegel durch einen Gang ins Treppenhaus und von da aus in den zweiten Stock.
„Im zehnten Stock sind die wirklich schicken Zimmer, aber ich denke, der Aufstieg lohnt für eine Stunde Schlaf nicht.“
Ich nickte nur. Das war mir recht. Meine Beine waren müde und in meiner rechten Fußsohle wühlte der Schmerz. Wir liefen einen weiteren Gang entlang. Taubenblauer Flauschteppich mit weißen Tupfen im Lichtkegel, immer noch so weich, dass die Füße einzusinken schienen.
„Wo hast du so kämpfen gelernt?“, fragte Will und sah
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