Themiskyra – Das Versprechen (Band 2) (German Edition)
habe, Verne?“
Er nickte stumm.
„Im Keller unter der Apotheke ist ein Büro. Hinter dem Regal mit den Aktenordnern befindet sich ein versteckter Lagerraum, ihr werdet ihn sehen, wenn ihr das Regal zur Seite schiebt. Vielleicht wurde er auch geplündert, aber wenn noch Medikamente da sind, nehmt mit, was ihr wollt. Als Dankeschön für die Unterkunft. Und die Karte“, ergänzte ich und sah zu Will.
„Das ist ziemlich großzügig“, fand Verne und lächelte ein kleines bisschen. „Da kriegst du aber noch jede Menge Maisdosen 'raus.“
„Ich nehme auch schwarzen Pfeffer“, gab ich zurück. Ohne Vernes Pfeffer hätte ich mir damals die Vatwaka, die meinen Vater auf dem Gewissen hatten, nicht vom Leib halten und fliehen können. „Aber wartet erst mal ab, ob ihr dort überhaupt noch Arzneimittel findet.“ Ich schwang mich auf Hekates Rücken und ließ sie antraben.
„Und Ell?“, hörte ich Will rufen.
Ich sah mich fragend nach ihm um.
„Falls du den Trip überlebst, komm doch nach Citey und mach bei uns mit. Jemand wie dich können wir jederzeit brauchen.“ Er zwinkerte mir zu.
„Mal sehen“, rief ich ausweichend zurück. Dann ritt ich los, den schmalen Durchgang zwischen den Gebäuden hindurch und dann, schneller, über die Wiese und in den Wald hinein. Immer Richtung Westen.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ich auf eine geteerte Straße stieß, deren Asphalt an unzähligen Stellen aufgeworfen war. Pflanzen, teilweise schon kleine Bäume, wuchsen aus den Rissen empor. Ich folgte ihr für etwa eine Viertelstunde, während der ich mich ungewohnt schutzlos fühlte. Rundum befanden sich nur verwilderte Felder und niederes Gebüsch, nichts, wo ich hätte Deckung beziehen können.
Das Gefühl nahm zu, als ich ein verbogenes und mehrfach zerschossenes Ortsschild passierte, das mich darüber informierte, dass ich gerade in Tasek einritt und dass wildes Plakatieren verboten sei. Ich schüttelte halb belustigt den Kopf darüber. Vor dem Verfall schien man hier ein sehr beschauliches Leben geführt zu haben, wenn das die einzige Sorge der Stadtverwaltung gewesen war. Der Anblick der Schusslöcher aber jagte mir einen eisigen Schauder über den Rücken. Mir wurde bewusst, dass ich mit meiner Ausrüstung gegen Schusswaffen keine Chance hatte. Gleichzeitig wurde ich wütend. Ich hätte alles haben können, Revolver, Armbrust, Maschinengewehr, Panzerfaust, alles war in Themiskyra reichlich vorhanden. Aber nein, wegen dieser hirnverbohrten Amazonen musste ich mich mit Dolch und Schwert durchschlagen. Egal. Ich würde es auch so schaffen, wie unwahrscheinlich das auch sein mochte.
Irgendwie hatte es Will geschafft, mein Selbstbewusstsein aufzubauen. Er schien sich zwar unentwegt über mich lustig gemacht zu haben, war aber paradoxerweise trotzdem der Erste und Einzige, der mir seit Pollys Verschwinden irgendetwas zugetraut und nicht versucht hatte, mir meine Mission auszureden.
Wo wir gerade beim Thema sind, schaltete sich mein Verstand ein, was war da los, gestern Abend?
Nichts. Ich war verwirrt. Und müde.
So verwirrt und müde, dass du ihn fast geküsst hättest?
Pfff, da war ich wohl kilometerweit entfernt davon.
Eher dreißig Zentimeter.
Vergiss es einfach. Ich war nicht bei Sinnen.
Ich will Louis!!! gellte mein Herz und machte sich auf ziemlich schmerzhafte Art und Weise bemerkbar.
Genau. Und jetzt Ruhe, ich muss mich konzentrieren.
Ich hatte die Felder hinter mir gelassen. Zu beiden Seiten säumten nun Einfamilienhäuser und kleine Läden die rissige Hauptstraße. Auch hier war von der früheren Beschaulichkeit nichts mehr übrig. Die morschen, schiefen Zäune, die nicht zu Feuerholz verheizt worden waren, grenzten ehemals säuberlich gehegte, jetzt verwilderte und vermüllte Vorgärten voneinander ab. Bunte Tonscherben zeugten von feige gemeuchelten Gartenzwergen, um die niemand mehr weinen konnte. Haustüren hingen schräg in den Angeln oder fehlten ganz, manche waren provisorisch durch Pappkartons oder Bretter ersetzt worden. Aus den wenigen glaslosen Fenstern, die nicht verbarrikadiert waren, wehten verblichene, ausgefranste Gardinen sanft im Wind. Überall lagen Schutt und zerbrochenes Glas. Nichts rührte sich. Fast erwartete ich einen Rollbusch vor mir über die Straße taumeln.
Aber trotz des desolaten Zustands der kleinen Stadt und all der Trostlosigkeit, die mich umgab, spürte ich, dass sie nicht verlassen war. Ich fühlte mich beobachtet, doch wohin ich blickte,
Weitere Kostenlose Bücher