Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Kontemplation zu verkopft. In einem kurzen lichten Moment, blies ich alle meine Geburtstagskerzen mit einem einzigen langen Atemzug aus, dann folgte ich Polly mit etwas schwammigen Beinen.
Sie organisierte eine weitere Flasche Met, während ich die Pferde sattelte. Wir rissen uns arg zusammen, strafften unsere Haltung und unterdrückten jedes Gekicher beim Durchreiten des Tors und tatsächlich ließen uns Johanna und Tawia durch, ohne Fragen zu stellen. Schon preschten wir über die Felder. Die frische Luft ließ mich den Alkohol ziemlich deutlich spüren, der alle restlichen Bedenken davonspülte und mich mit Abenteuerlust erfüllte.
Wir hatten etwa zwei Kilometer zurückgelegt, da kam uns jemand entgegen. Im ersten Moment verspürte ich ein vages Gefühl von Sorge – Was, wenn es eine unserer Schwestern ist? Naturkunde-Aufzeichnungen hin oder her, sie braucht lediglich einen Halbsatz mit uns zu wechseln um festzustellen, dass wir beide ziemlich einen im Tee haben … – dann sah ich, dass es nur Louis war, der von der Arbeit oder vom geheimen Lager zurückritt.
„Hallö!“, rief ich ihm leichthin zu. Er sah mich zweifelnd an. Für einen Moment wirkte er, als wolle er etwas sagen, doch nach einem kurzen Blick auf Polly wandte er den Kopf ab und ritt kommentarlos vorbei. Es war mir egal. Ich war auf dem Weg zu Steve, was kümmerte mich Louis! Polly schien die Begegnung gar nicht registriert zu haben, sondern stierte nur leer auf den Weg vor sich.
Goldvelt war eine blühende, hübsche Kleinstadt gewesen, bevor zuerst die Abwanderung, dann der Verfall sie verkommen ließen. Sie lag eingebettet zwischen ein paar Hügeln, leblos, lichtlos. Auf ihr ruhte eine andere Finsternis als auf der ebenfalls dunklen Natur rundum, so als würden die Schatten der Vergangenheit das Mondlicht vollkommen absorbieren, das hier und da zwischen Wolkenbänken hervorbrach.
Es war das erste Mal, dass ich mit der realen, kaputten Welt dort draußen in Berührung kam, seitdem ich bei den Amazonen lebte. Ein Schaudern schlüpfte durch den Alkoholnebel und glitt mir die Wirbelsäule entlang. Als wir auf der Hauptstraße einritten, verlassene Häuser und ein ausgebranntes Bürogebäude passierten, wurde ich plötzlich das Gefühl nicht los, dass das Ganze doch eher eine Schnapsidee gewesen war.
„Du, Polly …“
„Da drüben ist es!“, unterbrach sie mich triumphierend und zeigte auf ein zweistöckiges Haus mit den Überresten einer nicht mehr lesbaren, da zerschossenen Leuchtschrift über der Eingangstür.
Na gut.
Die Schaufenster im Erdgeschoss waren durch Holzplatten ersetzt worden, tapeziert mit Filmplakaten einer anderen, sorglosen Welt.
„ A sequel of decay …“, murmelte Polly, als Glasscherben bei jedem Schritt unter unseren Füßen knackten, während wir die Pferde um das Haus herumführten und am Zaun des etwa handtuchgroßen Gartens festbanden. Durch die unversperrte Hintertür gelangten wir in einen kurzen Flur und von dort in ein mit Pizzakartons und Fastfood-Tüten vermülltes Hinterzimmer. Ein altmodischer Flachbild-Fernseher stand auf einem Tisch vor einer speckigen Couch; Polly machte sich unverzüglich daran, ihn im Licht meiner Taschenlampe mit dem Akku ihres Solarladegeräts zu verkabeln.
„Passt!“, sagte sie zufrieden. „Jetzt lass uns den Film suchen.“
Wir traten in den Verkaufsraum und ich erschrak beinahe zu Tode, als ich vor der Glastheke die breitschultrige Silhouette eines Zweimetermannes erkannte, der ein riesiges Maschinengewehr in den Händen hielt.
„Ist er das?“, fragte Polly und leuchtete der ausgeblichenen Pappfigur ins Gesicht.
„Nein“, atmete ich auf. „Das ist Diddy Moustache, einer seiner Gegenspieler in der Flammenmeer-Trilogie.“
„Hey, wäre es nicht phantastisch, wenn wir hier noch einen Papp-Steve fänden? Das wäre wirklich ein tolles Geburtstagsgeschenk!“, zog mich Polly auf.
„Und wie erkläre ich Atalante seine Anwesenheit in unserem Zimmer?“
„Wir könnten ihn als Zielscheibe tarnen.“
„Pff.“
Die meterlangen Regaldisplays, die früher die GreenRay-Cover und Zusatzinformationen gezeigt hatten, waren natürlich tot, hinter der Theke fanden wir jedoch einen Aktenordner – und mit seiner Hilfe den Standort des Steve Bonanno-Klassikers Polaris Revenge .
„Siehst du, ist noch da“, rief Polly und zog die Disk aus einem breiten Ausziehschrank.
Es war absolut absurd. Ich saß auf einem muffigen Sofa in einer verlassenen Stadt am Ende der Welt
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