Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
Ich riss sie auf, orientierte mich eine Zehntelsekunde lang in der mich umgebenden feuchten Dunkelheit und eilte die Feuertreppe hinunter. Meine Schritte auf den Metallgittern schallten weithin über das Gelände, aber ich hatte keine Zeit, leise zu sein. Unten fand ich mich auf der Rückseite der Klinik wieder, auf einer Grünfläche, die von der Außenmauer und dem Stall begrenzt wurde. Der Regen hatte wieder eingesetzt und ich beugte mich über das Kind, damit es nichts von der Nässe abbekam, während ich schnell weiter lief, ganz nah an der Mauer entlang, um vor Blicken aus dem Gebäude versteckt zu bleiben. Dann witschte ich durch eine Seitentür des Stalls, hastete den Gang entlang, bog um die Ecke und – rannte in jemanden hinein.
Das Baby quittierte den abrupten Zusammenstoß mit einem quäkenden Weinen, das mir in der Stille des Stalls furchtbar laut vorkam. Sofort begann ich, es zu schaukeln, und machte „Schschschsch“, damit es uns nicht verriet. Zugleich sah ich auf.
Natürlich.
Wer sonst.
Louis stand vor mir und blickte absolut schockiert zwischen mir und dem Bündel in meinen Armen hin und her.
„Was zur Hölle hast du gemacht?“
Sein anklagender Ton verletzte mich und die Tatsache, dass er sich mir in den Weg stellte, als ich an ihm vorbeigehen wollte, machte mich wütend. Ich hatte jetzt keine Zeit für dieses Theater. „Lass mich vorbei.“
„Nicht bevor du mir nicht gesagt hast, was hier los ist.“ Seine Stimme klang fast drohend.
Da riss mir der Geduldsfaden. „Geh mir augenblicklich aus dem Weg und sieh zu, dass du mir meinen Sattel bringst“, fauchte ich.
Sobald ich das ausgesprochen hatte, bereute ich meinen Befehlston und spürte, wie sich Hitze in meinem Gesicht ausbreitete. Doch er wirkte. Louis' Miene verhärtete sich und er trat einen Schritt zur Seite, um mich vorbeizulassen. Allerdings ignorierte er den zweiten Teil meiner Anweisung und folgte mir, als ich zu Hekates Box lief und sie entriegelte.
„Ell! Was ist das für ein Kind?“
Ich führte meine Aspahi aus der Box und holte mir eine Satteldecke aus dem Nebenraum, da Louis immer noch keine Anstalten machte, mir zu helfen. Stattdessen lief er mir aufgebracht hinterher und löcherte mich mit Fragen, die ich wiederum ignorierte. Beim Versuch, meinen Sattel einhändig vom Halter zu zerren, rutschte er mir aus der Hand und fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden. Mein herzhafter Fluch steigerte das Gequäke des Babys um einige weitere Dezibel.
Verbissen versuchte ich, ihn wieder hochzuheben, aber er war einfach zu schwer.
„Nimm mal.“ Kurzerhand wandte ich mich um, drückte Louis den kleinen Jungen in den Arm, hievte den Sattel hoch und trug ihn zu meinem Pferd. Nachdem ich ihn aufgelegt und hektisch festgezurrt hatte, bemerkte ich, dass das Weinen verstummt war. Ich sah zu Louis, der vollkommen überfordert auf das Kind in seinen Armen herabblickte. Er hielt es genauso, wie ich es ihm übergeben hatte, wie einen kleinen, zerbrechlichen Fremdkörper, den er schleunigst wieder loswerden wollte, der ihn aber nichtsdestotrotz irgendwie zu faszinieren schien. Nein, es war keine Faszination. Schlagartig wurde mir klar, dass sich Louis an seine eigene Vergangenheit erinnert fühlen musste, auch wenn er nicht wusste, was ich vorhatte.
„Es ist ein kleiner Junge“, erklärte ich so ruhig wie möglich, obwohl ich spürte, dass mir die Zeit unter den Fingern zerrann. „Er wurde heute geboren und ich fürchte um seine Sicherheit. Deswegen muss ich weg mit ihm.“
Louis hob ruckartig den Blick. Und etwas, das darin verborgen war, brach mir fast mein Herz. Doch seine Stimme klang vollkommen sachlich, als er nachfragte: „Du fürchtest um seine Sicherheit? Wieso glaubst du, er ist in Gefahr?“
Die Erinnerung an die Kälte in Aretos Augen ließ mich schaudern. „Ich traue seiner Großmutter nicht. Sie wollte, dass ich ihn ihr übergebe, aber ich konnte nicht“, sagte ich nur.
Aber er akzeptierte meine knappe Erklärung. „Wo willst du hin?“
„Keine Ahnung.“
Er schüttelte den Kopf. „Es ist kühl draußen und es regnet. Du hast keinen Schlafplatz. Du hast nichts zu essen und zu trinken dabei. Weder für dich, noch für das Kind. Soll es erfrieren und verhungern? Und was ist mit dir? Wie willst du dich durchschlagen, wenn du dich gleichzeitig noch um das Baby kümmern musst?“
Die nüchterne Logik seiner Worte machte mich wütend. Ich unterdrückte den Impuls, mit dem Fuß aufzustampfen. „Du hast gesagt,
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