Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
wollte er wissen und griff, dem Geräusch nach zu urteilen, nach dem Zügel.
„Ich kann überhaupt nicht reiten.“
„Unsinn.“
„Kein Unsinn. Du hast es doch gesehen.“ Ich fühlte mich elend und wollte nicht an den todesmutigen, aber unfreiwilligen Salto vom Pferd in eine lediglich metergroße Schlammsuhle denken, aber ich wollte auch nicht reiten müssen. Und vor allem wollte ich nicht dorthin zurück, wo das Unglück seinen Anfang genommen hatte.
Ungeduldig erwiderte er: „Natürlich kannst du reiten. Du hattest es doch total schnell raus –“ Er brach ab und räusperte sich.
„Was?“
Hat er mir etwa zugeschaut? Wann? Wo? Und vor allem warum? Zum Zeitvertreib, weil es so lustig anzusehen ist, wie ich mich mit Hekate abmühe und mich dabei anstelle wie der letzte Trottel?
Doch er schwieg und ich war mir mit einem Mal gar nicht mehr sicher, ob ich mich nicht verhört hatte. In meinem Kopf ging es drunter und drüber.
Als sich das Pferd langsam in Bewegung setzte, klammerte ich mich am Sattelknauf fest, aber die Kraft strömte mir unaufhaltsam aus den Fingern. Ich merkte, wie ich allmählich den Halt verlor und vom Sattel abrutschte, ähnlich wie damals, als Kind auf dem Jahrmarkt-Gaul.
Egal. Vielleicht kann ihn ein weiterer Sturz davon überzeugen, dass ich nicht wieder nach Themiskyra zurück muss. Aber das war Blödsinn. Es würde ihn nur noch mehr zur Eile antreiben, wenn ich mir eine weitere Verletzung zuzog. Und falls ich mir tatsächlich das Genick brach … Was sich vorher als super Alternative zum Ertrinken angehört hatte, trieb mir nun trotz der kühlen Nachtluft den Schweiß aus den Poren.
Schließlich rutschte mir der Sattelknauf aus den kraftlosen Fingern. „Louis“, flüsterte ich schwach und streckte meine Hand nach der Dunkelheit aus, in der ich ihn vermutete.
Du bist wirklich eine lausige Amazone! Sieh dich nur an! übertönte die überraschend deutliche Stimme meines Verstands das Chaos in meinem Kopf, als Louis mich abfing und sich kurzentschlossen hinter mich auf den Pferderücken schwang. Mit einem Arm hielt er mich fest gegen seinen Oberkörper gedrückt, während er mit dem anderen lenkte.
Ich bin gar keine Amazone, erwiderte ich trotzig.
Ach, du bist lieber ein Häufchen Elend?
Bin ich gar nicht. Ich bin nur verletzt und geschwächt, weil ich vier möglichen und nicht allzu unwahrscheinlichen Todesursachen getrotzt habe.
Mit seiner Hilfe.
Und wenn schon.
Aber in Wirklichkeit willst du eine Amazone sein. Du glaubst nur, dass du es nicht kannst, weil eine sadistische Taekwondo-Trainerin dein Selbstbewusstsein ein bisschen angeknackst hat. Du behauptest, Atalante wolle dich umkrempeln, dabei bist du es, die sich selbst umkrempelt. Die wahre Ell gibt nicht auf. Sie hat es geschafft zu überleben, Citey zu verlassen und sich durchzukämpfen. Aber von ihr ist wohl gerade nicht mehr viel übrig, oder? Doch das ist nicht die Schuld deiner Mutter. Das hast du dir selbst zuzuschreiben.
Ich biss die Zähne zusammen, aber ich konnte nicht verhindern, dass sich Tränen der Verwirrung und des Schmerzes ihren Weg bahnten. Fast erstickte ich erneut, diesmal jedoch beim Versuch, mein Schluchzen zu unterdrücken. Doch meine Bemühungen, mein Weinen zu verbergen, waren vergebens. Tränen tropften mir von der Wange und eine traf offenbar Louis' Hand, denn ich spürte, wie er sich anspannte.
„Glaub mir, ich verstehe, dass du weg möchtest. Besser als jeder andere wahrscheinlich.“ Der nahe, dunkle Klang seiner Stimme an meinem Ohr erfüllte mich mit einem inneren Sog, von dem ich nicht wusste, ob er mich zu ihm hin- oder von ihm wegzog. „Aber in deinem jetzigen Zustand kommst du nicht besonders weit. Wenn du wieder abhauen willst, wende dich an mich. Ich kann dir helfen.“
Ich nickte nur. Mit einem Mal erschien mir die Aussicht auf mein weiches, warmes, wenn auch irgendwie fremdes Bett in Pollys Zimmer unwahrscheinlich attraktiv. Ich wollte mich nur darin verkriechen. Keine Fragen, keine Antworten, keine langen Diskussionen mit Atalante. Nur schlafen. „Bitte erzähl niemandem, was passiert ist.“
„Natürlich.“ Seine Stimme klang plötzlich ganz kalt.
Ich drehte den Kopf, aber es war zu dunkel, um sein Gesicht zu sehen. Habe ich was Falsches gesagt? Hat er auf Atalantes Dank gehofft, auf eine Belohnung dafür, dass er mich gerettet hat oder eine Sonderstellung unter den Arbeitern?
„Ich will nicht, dass Aufhebens darum gemacht wird“, versuchte ich, mich zu
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