Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
mein verletztes Bein, bevor sie die Tür aufsperrte und einen Spalt weit öffnete.
„Hippolyta, warum sperrst du ab?“, erklang Atalantes ungeduldige Stimme.
„Ell ist erkältet und braucht Ruhe. Sie muss sich gestern im Regen verkühlt haben.“
Oh, verkühlt war eine phantastisch harmlose Beschreibung meines Zustandes und ich dankte Polly von ganzem Herzen dafür. Die dröhnenden Hammerschläge auf meinen Hinterkopf, die mich seit dem Sturz von der Behelfsbrücke gequält hatten, waren einem Presslufthammer gewichen, der nun bei jeder Kopfbewegung unbarmherzig meine Stirnhöhlen bearbeitete. Ich hatte das Gefühl, die ganze Nacht über kein Auge zugetan zu haben, weil mir abwechselnd eiskalt und höllenheiß gewesen war, trotz beziehungsweise dank der Schwitzkur, die mir Polly hatte angedeihen lassen, um mein Fieber zu senken. Offenbar mit Erfolg. Obwohl ich vor Schmerz kaum schlucken konnte und mir alles einschließlich meiner Haarwurzeln wehtat, sah ich immerhin keine im Fieberwahn erdachten neonfarbenen Muster mehr, die wabernd die Zimmerdecke zu dekorieren schienen.
Nur vage erinnerte ich mich daran, was geschehen war, nachdem ich in der Nacht ohnmächtig geworden war. Als ich wieder zu mir gekommen war, hatte ich immer noch auf dem Boden gelegen und das als gutes Zeichen genommen, denn wenn Polly meiner Bitte nicht nachgekommen wäre, hätten mich die zu Hilfe eilenden Amazonen mit Sicherheit ins Bett oder sogar auf die Krankenstation verfrachtet.
„Bleib liegen, Ell“, war ihre gefasste Stimme von meinen Beinen her ertönt.
Sie hatte mein an der Naht aufgerissenes Hosenbein nach oben geschlagen, um mein Bein zu untersuchen, und machte sich anschließend am Verband zu schaffen, den Louis aus Stoffstreifen seines Hemds fabriziert haben musste. Der Schmerz dabei ließ mich ihrer Aufforderung bereitwillig Folge leisten.
Ich vernahm, wie sie tief Luft holte.
„Was ist?“
„Du bist sicher, dass ich keine Hilfe holen soll?“
„Ja.“
„Warum nicht?“
„Es geht niemanden etwas an“, murmelte ich.
Das schien ihr als Begründung zu genügen. Als sie dann Nadel und Faden aus ihrem Erste-Hilfe-Set hervorkramte, wurde mir allerdings doch etwas mulmig.
„Halt still, sonst wird’s nix.“
Irgendwie schaffte ich es, bei Bewusstsein zu bleiben, während Polly mein Bein wieder in die vorhergesehene Form nähte. Ich klammerte mich an den Fetzen von Louis’ Hemd und konzentrierte mich voll und ganz auf die Tatsache, dass ich überhaupt noch am Leben war. Alles ist besser, als zu ertrinken, wiederholte ich im Geiste. Alles andere ist ein Klacks. Höllenübel brennendes Desinfektionsmittel – Klacks. Nadel, die meine Haut perforiert – Klacks. Enervierendes Zink-Zink des Fadens, wenn Polly die Naht zusammenzieht – Klacks … oh Artemis …
Danach zwang sie mich, einen Liter Wasser zu trinken und half mir ins Bett.
„Du siehst furchtbar aus“, war das Einzige, was sie sagte, bevor sie mir einen Kuss auf die Stirn gab und selbst zu Bett ging. Abgesehen von Louis und Tetra war ich in meinem ganzen Leben noch nie jemandem so dankbar gewesen. Für ihre Loyalität, ihre Hilfe und einfach dafür, dass sie mich für den Augenblick in Ruhe ließ. Eine Stunde später hatte der Schüttelfrost eingesetzt.
„Lass mich zu ihr.“ Atalantes herrische Stimme riss mich in die Gegenwart zurück.
Polly suchte fragend meinen Blick und ich zuckte mit den Schultern. Wer würde sie aufhalten können? Meine Schwester ließ sie ein und Atalante stürmte zu meinem Bett. Ihre kalte Hand auf meiner Stirn ließ mich zurückzucken. Doch die Sorge, die in ihren Augen stand, während sie mir verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn strich, war Balsam für meine Seele. Für eine Amazonenherrscherin musste eine Erkältung doch ein Witz sein, dennoch saß sie hier und war im selben Maße außer sich, wie wenn sie gewusst hätte, was mir wirklich zugestoßen war.
Wie kann sie so liebevoll sein und doch so grausam, dass sie mich zu Dingen zwingen will, die ich absolut ablehne? Ist das normal? Sind alle Mütter so? Werde ich mich jemals gegen sie behaupten? Und wenn ja, verliere ich sie dann wieder? Ich weiß es nicht … weiß es nicht … nicht …
Ich musste eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufschlug, hatte sich das Licht im Raum verändert und ich war allein. Meine Stirn fühlte sich kühl an, doch die Welt drehte sich noch eine ganze Weile nach, nachdem ich mich aufgesetzt hatte.
Aus dem
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