Themiskyra – Die Begegnung (Band 1) (German Edition)
haben wie ich ihn. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, dann sah er schnell weg. Weil ich mich über mich selbst ärgerte, dass seine Ankunft mich einen Herzschlag lang aus der Bahn geworfen hatte, rief ich ihm ein munteres „Guten Morgen!“ zu, als er einige Meter entfernt halt machte und vom Pferd stieg. Er musste es gehört haben, aber er ignorierte mich.
So kann ich auch , dachte ich mir und blieb bei meiner Aspahi stehen, während er zur Erntemaschine ging und sie anwarf. Anstatt mich aufzufordern, ihm zu helfen, hängte er sich wortlos einen der Körbe um, stieg auf die Hebebühne und begann in aller Ruhe, Äpfel zu pflücken. Beleidigt und wütend sah ich ihm eine Weile lang zu. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass er mich auch in dieser Situation derartig wie Luft behandelte. In Themiskyra, ja, wenn wir uns im Alltag begegneten, ja, aber doch nicht hier, wo wir gezwungen waren, die nächsten Tage, womöglich Wochen zusammen zu arbeiten!
Während ich also oberflächlich damit beschäftigt war, rechtschaffene Empörung zu empfinden, tastete ich mich auf einer anderen Ebene vorsichtig in die Tiefe meines Herzens vor und unterzog es einer sorgfältigen Prüfung.
Puls völlig normal.
Atmung gleichmäßig.
Bauch komplett schmetterlingsfrei.
Das Höhlenweibchen blieb verschwunden. Sehr gut.
Über diese Feststellung war ich so erleichtert, dass ich tief durchatmete und nun doch zur Erntemaschine lief, obwohl ich mich immer noch über Louis' Verhalten ärgerte. Ich nahm mir einen Korb und stieg lautlos auf die gegenüberliegende Hebebühne, um die andere Seite der Baumreihe abzuernten. Die Maschine fuhr automatisch in sehr langsamem Tempo den Weg zwischen den Apfelbäumen entlang, sodass man nicht ständig absteigen und den Wagen Stück für Stück weiterfahren musste.
Schweigend pflückten wir Stunde um Stunde. Manchmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden, aber immer, wenn ich mich zu Louis umwandte, war er nur stoisch dabei, einen Apfel nach dem anderen in den Korb zu sammeln. Sobald die Körbe voll waren, füllten wir das Obst vorsichtig in eine große Kiste um, die auf der Maschine angebracht war. Ich bekam Durst, aber ich wollte nicht aufhören zu pflücken, weil ich ihn nicht bitten wollte, den Wagen anzuhalten. Als die Mittagssonne heiß auf uns herabbrannte, hielt ich es nicht mehr aus.
Ich ging davon aus, dass er nicht reagieren würde, aber ich sagte trotzdem: „Ich brauche eine Pause“, bevor ich von der Maschine kletterte und die Reihe der abgeernteten Bäume entlang zurückging.
Ich hörte, wie er den Elektromotor abstellte und ein paar Meter hinter mir herging, was mich nervös machte, aber ich drehte mich nicht um.
Aus Hekates Satteltaschen holte ich mir Wasser und ein großes Sandwich, setzte mich unter den nächsten Baum in den Schatten und begann zu essen. Auch Louis nahm ein Stück Weißbrot aus seiner Satteltasche, aß aber direkt bei seinem Pferd.
Die Situation nervte mich. Es hätte trotz der anstrengenden Arbeit lustig sein können, wenn beispielsweise Polly oder eins der anderen Mädchen dabei gewesen wäre, aber so war es einfach nur laaaaaangweilig. Außerdem fühlte ich mich in seiner Gegenwart irgendwie angespannt – das heißt, der möglicherweise meditative Effekt der stupiden Arbeit war gleich null. Missmutig kaute ich mein Essen und dachte ausgiebig darüber nach, ob ich vielleicht eine der Preiselbeerpflückerinnen zum Tausch überreden konnte.
Tetra war die Erste, die mir nach der Arbeit im ansonsten leeren Atrium über den Weg lief.
„Tetra, ich möchte tauschen“, teilte ich ihr nach einer schnellen Begrüßung mit.
„Ah, du bist bei den Preiselbeeren?“, vermutete sie und lächelte, so als sei ich nicht die erste, die sich über die Erntearbeit beschwerte.
„Nein, ich bin bei den Äpfeln. Aber ich langweile mich zu Tode.“
„Musst du allein arbeiten?“, fragte sie.
„Quasi. Der andere Erntehelfer ist ein Arbeiter, der mich nicht grüßt und den ganzen Tag stumm vor sich hin pflückt“, klagte ich ihr mein Leid.
„Was sollte er auch mit dir reden, das steht ihm nicht zu“, sagte Tetra wie selbstverständlich.
Ich bot wohl einen sehr jämmerlichen Anblick, denn sie sah mich mitleidig an und meinte: „Geh zu Areto und bitte sie, die Einsatzpläne noch einmal durchzusehen. Vielleicht lässt sich ja noch etwas dran drehen.“
Doch Areto legte im Augenblick keinen gesteigerten Wert auf eine Unterhaltung mit mir. Sie teilte mir
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