Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
mir.
Sondern in sein Funkgerät, dessen Knacksen und Rauschen mein leises Eintreten übertönt hatte. Er stand, mir den Rücken zugewandt, vor dem Tisch und goss sich einen Rest kalten Kaffees in seine Tasse. Ich verharrte unbemerkt im Türrahmen, konnte plötzlich keinen Schritt weitergehen. Meine geistigen Formulierungsversuche lösten sich in Luft auf, ganz im Gegensatz zu den Gespenstern, die sich kalt und schwer um meinen Magen klammerten.
„Ich weiß“, tönte Celestes Stimme verzerrt, jedoch voll Überzeugung aus dem Lautsprecher. Ein Moment Schweigen, dann seufzte sie. „Sorry, dass ich dich geweckt habe, ich musste einfach …“
„Keine Sorge, du hast mich nicht geweckt“, unterbrach er sie.
Celeste klang ungläubig. „Du warst noch wach? Es ist schon vier und du hast doch morgen die erste Schicht?!“
„Ach, ich …“, er zuckte mit den Schultern, „ich war noch am Aufräumen.“
Aufräumen. Kein Wort von mir. Von unserem Wiederfinden. Von seinem Glück. Er verleugnet mich. Säure breitete sich in meinem Mund aus, verätzte mein Herz. Aber mein Verstand arbeitete schlagartig messerscharf.
Alles klar. Befangenheit. Sicher. Er verschwieg mich dieser Frau nur aus einem einzigen Grund und der hatte nichts damit zu tun, dass er mich schützen wollte. Sondern nur sich selbst und seine Beziehung oder was immer er da mit Bürgerwehrbarbie hatte. Mir wurde schlecht.
„Dann hab noch einen ruhigen restlichen Dienst, okay?“
„Werde ich haben. Seit dem Vorfall im Industrieviertel war tote Hose. Ich schätze, ich kann es mir im MHK mit einem Buch vor dem Funkgerät bequem machen.“
„Mach das.“ Seine Stimme klang sanft.
Lautlos wich ich in den Gang zurück; ich hatte keinerlei Bedarf, verliebten Verabschiedungsszenen zu lauschen. Bis ich die Toilette erreicht hatte, hatten sich Entsetzen und Übelkeit in Wut und bodenlose Enttäuschung verwandelt.
Den gemütlichen Abend kannst du dir in die Haare schmieren, Himmlische. Ich schenk dir reinen Wein ein.
Ich öffnete das Fenster, stieg auf den Waschtisch und kletterte nach draußen. Das Fensterbrett befand sich nur zwei Meter über dem Boden; ich sprang einfach hinunter und kam in der Hocke auf dem überwucherten Pflaster des Bahnhofsvorplatzes auf. Kalte, klare Luft empfing mich, fuhr durch die Maschen meines Pullis und stellte mir die Haare auf den Armen auf.
MHK. Maria Hilf Krankenhaus, dachte ich grimmig. Artemis hilf.
Underground ohne Taschenlampe war keine sonderlich gute Idee, aber hier unten fühlte ich mich zumindest sicher. Oberirdisch wollte ich nicht unbewaffnet durch das Industriegebiet laufen und Hekate hatte ich nicht holen können, zu groß war die Gefahr gewesen, dass Louis mich dabei erwischt hätte. Ich wollte seine Lügen nicht hören. Und genauso wenig die Wahrheit. Dafür war es jetzt zu spät.
Im Stockfinsteren tastete ich mich die Treppenstufen abwärts, doch sobald ich die Schienen erreicht hatte, wurde es einfacher. Ich kannte die Strecke und wusste, dass ich ihnen nur zwei Stationen folgen musste, bis ich die Haltestelle erreichte, die sogar den Namen des Krankenhauses trug. Obwohl tausend Eindrücke durch meinen Kopf brandeten, konnte ich im Nachhinein nicht sagen, was ich während der halben Stunde dort unten gedacht hatte. Alles war wirr, alles war zu viel.
Dann war ich da und zog mich am Absatz zum Bahnsteig hoch. Ich versuchte gerade, mich zu erinnern, welchen Aufgang ich nehmen musste, da spürte ich plötzlich, dass ich nicht mehr alleine war. Ehe ich die fremde Präsenz orten konnte, fühlte ich mich von zwei Armen gepackt. Mein Schrei wurde von einem Stück Stoff gedämpft. Beißender Geruch stieg mir in die Nase. Ich hielt die Luft an, aber die Dämpfe gelangten dennoch in meine Atemwege und machten meine Beine schwer und wehrlos – und als ich, schon halb am Ersticken, nicht anders konnte, als tief Luft zu schöpfen, gab mein Bewusstsein auf.
Stechende Kopfschmerzen weckten mich, stachen in die Rückseiten meiner blinden Augen. Meine anderen Sinne waren in Ordnung, ich roch die kalte, modrige Luft des Underground und schmeckte Eisen und Salz auf meiner Zunge. Ich konnte meinen Atem hören und fühlte den steinigen Boden, auf dem ich lag.
Mit schmerzenden Gliedern richtete ich mich auf, ertastete eine Mauer hinter mir und lehnte mich dagegen. Mir war übel und ich war unglücklich. Es dauerte ein paar Sekunden, vielleicht Minuten, bis mir die Ursachen dafür wieder einfielen.
Louis. Celeste.
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