Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
zu. Versuchte, mich zu sammeln. „Weil ich deinen Bruder kenne.“
„Du kennst Gio? Woher?“
„Gio?“ Verwirrung und die Angst, dass ich mit meiner Vermutung doch falsch liegen könnte, vernebelten mein Gehirn.
„Mein großer Bruder.“
„Ihr seid drei?“
„Nein, zwei. Naja, eigentlich vier, ich habe noch zwei Schwestern. Halbschwestern“, setzte er dankenswerterweise hinzu, sonst wäre ich wahrscheinlich vollkommen wahnsinnig geworden.
„Ihr seid drei Brüder“, wiederholte ich langsam und begriff. „Deswegen hat Leonore …“ Louis' Mutter hatte unbedingt eine Tochter gewollt, jedoch jedes Mal einen kleinen Jungen auf die Welt gebracht. Da sie sich aber nur dreimal als Yashta zur Verfügung stellen durfte, hatte die Geburt von Louis all ihre Hoffnungen auf eine Tochter zerstört. In ihrer Verzweiflung hatte sie ihren Sohn ausgesetzt und behauptet, sie hätte eine Totgeburt erlitten – ein Sonderfall, der ihr erlaubt hätte, sich ein weiteres Mal als Yashta zu melden. Wenn sie es übers Herz gebracht hätte. Doch sie hatte ihre Tat nie verwinden können …
„Nein, zwei“, beharrte Cesare bockig und riss mich in die Gegenwart zurück.
Als mir klar wurde, dass ich, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen wollte, ihm auch vom Selbstmord seiner Mutter erzählen musste, wurde mir flau im Magen.
Du hast es schon mal geschafft, also kannst du es auch diesmal. Schlimmer wird es schon nicht werden, sagte mein Verstand unbeeindruckt.
„Ihr seid zu dritt“, widersprach ich fest. „Ihr habt noch einen jüngeren Bruder. Louis.“
Ich setzte mich so hin, dass ich ihn ansehen konnte und erzählte. Alles. Nun, fast alles, die Details, die mir definitiv zu persönlich erschienen, ließ ich natürlich weg. Aber ich berichtete ihm, was ich von Louis' Vergangenheit in Erfahrung hatte bringen können, und auch, dass er Themiskyra letztes Jahr verlassen hatte. Die Nachricht vom Tod seiner Mutter nahm Cesare ganz gelassen auf, er hatte ja keinerlei Beziehung zu ihr. Die Tatsache hingegen, dass sie seinen kleinen Bruder einfach ausgesetzt hatte, machte ihn richtiggehend wütend. Ich versuchte nicht, ihn zu beschwichtigen, ich wollte nicht Partei ergreifen.
„Dante hat sich so gut um ihn gekümmert, wie es ihm unter den gegebenen Umständen möglich war. Louis ist für ihn der Sohn, den er nie hatte“, sagte ich nur.
Nach einer langen Pause sagte Cesare unvermittelt: „Ich habe Hunger“ und stand auf, um sich in der Küche umzusehen. Ich betrachtete ihn dabei, versuchte unentwegt, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen ihm und Louis zu finden, und wusste nicht, ob ich sie finden wollte oder nicht.
„Von meinem Proviant ist noch was übrig“, fiel mir ein. „Genau genommen alles. Siehst du den Beutel auf dem Tresen? Da ist er drin.“
Er brachte auch ein großes Holzbrett mit, das er zwischen uns aufs Sofa legte, und stapelte belegte Brote, ein großes Stück Käse, Spieße mit gegrillten Hühnerfleisch und Gemüse, einen Apfel sowie zwei frisch gefüllte Wassergläser darauf. Ich war zu aufgewühlt, um Appetit zu verspüren, aber mein Hunger war so groß, dass ich schließlich doch zugriff.
Cesare hatte trotz der etwas beengten Situation gute Tisch- oder vielmehr Couchmanieren, lobte Themiskyras Küche über den grünen Klee, schälte mir meine Apfelhälfte und fragte mich jedes Mal, bevor er sich etwas nahm, ob ich es haben wolle. Ich war ebenfalls höflich und lehnte stets ab. Es war mir egal, womit ich meinen knurrenden Magen füllte. Ansonsten verlief unsere Mahlzeit schweigend; jeder von uns hatte genug Neuigkeiten zu verarbeiten.
Binnen einer halben Stunde hatten wir das Brett komplett leergegessen. Nachdem er es auf dem Boden abgestellt hatte, stützte er den Ellenbogen auf die Rückenlehne der Couch und blickte mich aufmerksam an. So aufmerksam, dass es mir fast unangenehm war, aber ich sah nicht weg. Die Tatsache, dass er Louis' Bruder war, hatte ihn mir irgendwie vertrauter gemacht, obwohl ich ihn dadurch eigentlich kein bisschen besser kannte.
„Du warst also verknallt in meinen Bruder.“
Das hatte ich ihm zwar nicht direkt erzählt, aber es hatte sich ihm wohl aus meiner Erzählung und meinen Reaktionen erschlossen. Und die Vergangenheitsform stimmte nicht, aber …
„Ja.“ Unnötig, es zu leugnen.
Er lächelte. „Und ich sehe ihm ähnlich?“
„Nein. Ja. Ein bisschen. Ziemlich“, gab ich zu und musste unwillkürlich zurücklächeln. Das tat gut. Lächeln. Echt
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