Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
verschmolz sie praktisch mit dem Polster der Bank.
„Das hier sind Priska und Ezio, die Großeltern der Kinder. Genauer gesagt, Peleos Eltern. Meine Eltern wohnen nicht hier bei uns, sondern in einer Siedlung, die ein paar Kilometer weiter westlich liegt.“
Wobei Priska natürlich nicht Peleos leibliche, sondern ebenfalls seine Stiefmutter war, berichtigte ich gedanklich. Artig gab ich den beiden grauhaarigen Herrschaften die Hand. Ezio hatte aristokratische Gesichtszüge mit Mundwinkeln, die immer nach unten zu zeigen schienen. Vor allem in diesem Moment – er war fast so entrüstet wie Gio, wohingegen mich seine gutmütig wirkende Frau lediglich mit einem sensationslüsternen Blick von Kopf bis Fuß maß.
Theresa erhob ihre Stimme etwas. „Und hier haben wir noch Taddeo, den Urgroßvater.“
Der alte, dürre Herr im Rollstuhl musste auf die neunzig zugehen und war der Einzige, der mir vollkommen gelassen begegnete. „Erfreut“, sagte er nur und strich fast gelangweilt Falten aus der grünkarierten Decke, die seine Beine bedeckte.
„Er wohnt nicht immer bei uns. Manchmal lebt er auch bei Peleos Brüdern und Cousins“, erklärte mir Theresa mit immer noch lauter Stimme, vermutlich da der Urgroßvater nicht mehr so gut hörte und sie ihn höflicherweise wissen lassen wollte, was sie über ihn sagte.
Brüder und Cousins, dachte ich und war erleichtert, dass sie nicht auch noch hier wohnten. Ich war jetzt schon mit der fremden Menschenmenge überfordert. Doch es war klar, dass der Clan mehrere Familienzweige umfassen musste, wenn er seiner Hauptaufgabe gerecht werden sollte. Mein Herz begann hoffnungsvoll zu klopfen. Vielleicht war Louis bei einem von ihnen untergekommen.
„Bist du eine Freundin von Sian?“, fragte Taddeo und musterte mich aus wässrigen, blauen Augen.
„Nein, Vater, schau doch hin“, artikulierte Priska deutlich. „Das ist eine Amazone.“
„Ungewöhnlich“, murmelte der Urgroßvater und schüttelte den Kopf. „Das hätte es früher nicht gegeben.“
„Das sollte es auch jetzt nicht geben“, bemerkte Ezio mit unüberhörbarem Missfallen in der Stimme.
Ich überlegte, ob jetzt der geeignete Moment gekommen war, mich zu erklären, oder ob ich besser auf Peleo warten sollte, da trommelte Ginger auf die Sitzfläche des Stuhls neben sich und rief: „Setz dich zu mir!“
Theresa gab mir einen aufmunternden Schubs und ich ließ mich dort nieder. Binnen einer Minute hatte ich eine große Portion goldgelben Rühreis, zwei Scheiben Weißbrot und einen dampfenden Becher Kakao vor mir stehen. Testweise spießte ich mit der Gabel in mein Frühstück, aber die neugierigen bis vorwurfsvollen Blicke der anderen lasteten so zentnerschwer auf mir, dass ich es nicht über mich brachte, etwas zu essen. Erst auf Theresas nachdrückliche Aufforderung hin setzten sie ihr Frühstück fort und auch ich zwang mich dazu, meine Portion zu verspeisen. Es schmeckte phantastisch, aber ich konnte es nicht genießen. Irgendwie war in Riparbaro alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte einen archaischen Stamm erwartet, der in mittelalterlichen Hütten hauste, und nicht eine glückliche, mehrere Generationen umfassende, völlig normale Familie, deren Tagesablauf, wenn nicht Leben ich komplett durcheinander brachte.
Langsam entspannen sich wieder Gespräche und ich wurde, zumindest oberflächlich, ignoriert, was mir für den Moment sehr recht war. Mir fiel auf, dass die Saveris alle eins gemeinsam hatten: Was sie am Körper trugen, war weder zusammengewürfelt, noch geflickt, und auch nicht selbstgeschneidert, sondern saubere, makellose Markenkleidung aus guten Stoffen. Derzeit unbezahlbar. Unnötig, wenn man es genau nahm. Und vor allem: nicht existent. Zumindest kannte ich keinen Laden, in dem man so etwas heutzutage noch kaufen konnte.
Nacheinander betrachtete ich sie alle noch einmal. Als ich bei Gio angelangt war, sah er mich so ablehnend an, dass ich unwillkürlich zurückzuckte. Nicht, weil mich seine Reaktion verletzte; sie war natürlich vollkommen verständlich. Nein, es lag daran, dass ich den Blick so gut kannte, die Augen, so schwarz, dass man die Iris nicht von der Pupille unterscheiden konnte, der Ausdruck darin. Es war genau der, mit dem mich Louis mein gesamtes erstes Jahr in Themiskyra bedacht hatte, abgesehen von einigen, wenigen Ausnahmen. Und der Gedanke daran stach mir ins Herz. In den Gesichtern fast aller Anwesenden fand ich kleine Erinnerungsstückchen von Louis
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