Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
ehemaliger Nachbarn, der verlassenen Bäckerei, am verrammelten Drogeriemarkt, an der zur Unkenntlichkeit überwucherten Eisdiele … Von hier aus konnte man das Dach unseres Hauses schon erkennen, mit der Gaube und dem kleinen Balkon, der zu meinem Zimmer gehörte …
Es sah anders aus.
Anders anders als alles andere, was sich in den letzten Jahren verändert hatte. Ich ließ Hekate in Trab fallen, dann in Schritt und hielt schließlich an.
Ich versuchte zu begreifen, was ich sah, und ich wusste nicht, warum es mir so schwer fiel. Es war klar gewesen, dass die Kaiman sich auf irgendeine Art und Weise rächen würden. Und ich hatte schon so lange mit meinem Leben hier abgeschlossen, dass es eigentlich nicht hätte wehtun dürfen. Doch während ich die verkohlten Überreste meines früheren Zuhauses betrachtete, blutete mein Herz. Langsam glitt ich vom Sattel und ging auf das schwarze Gerippe aus Holzbalken und spröden Mauerresten, auf das türlose, verrußte Loch darin zu.
„Ell, nicht.“ Ces, der mir schweigend gefolgt war, hielt mich an der Schulter fest, kurz bevor ich es erreichte. „Die Substanz ist hinüber. Das bricht alles zusammen und begräbt dich unter sich.“
Er hat recht, sagte mein Verstand.
Wie erstarrt blieb ich stehen und dachte an die Dinge, die mir gehört hatten und die nun für immer verloren waren. Meine Fotoalben mit den Urlaubsbildern, meinen Plüschpinguin, den mein Vater noch vor meiner Geburt für mich gekauft hatte, meinen Lieblingspulli, den er mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Ich dachte an völlig banale Dinge des täglichen Bedarfs wie die Töpfe, in denen wir gekocht hatten, und an die Souvenirs, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte.
Du hast die letzten Jahre kein einziges Mal daran gedacht. Du hast nichts davon vermisst. Also schenk dir diese nostalgischen Anwandlungen, schimpfte mein Verstand.
Es hat nichts mit den Dingen zu tun, begriff mein Herz. Es hat mit ihrer Bedeutung zu tun. Es hat mit Papa zu tun.
Ich riss mich von Cesare los und joggte den Weg entlang, der rund ums Haus führte, stolperte über die Wiese, Maulwurfshaufen, hohes Gras, Streben des zerfallenen Gewächshauses, verrottende Berge von Laub und fiel vor einem kleinen Hügel auf die Knie, auf dem ein Bäumchen wuchs.
Alles ist gut. Sie haben nichts gemacht. Sie haben es nicht gefunden. Sie haben sein Grab in Ruhe gelassen, war alles, was ich immer wieder denken konnte, und die Erleichterung ließ mich zittern.
Irgendwann drang Ces' Gegenwart in mein Bewusstsein. Er stand ganz still ein paar Meter hinter mir, kam aber näher, als ich mich nach ihm umsah, und setzte sich neben mich.
„Ist es ein lebendig Wesen, das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, dass man sie als eines kennt?“, fragte er.
Damit brachte er mich komplett aus dem Konzept. Nicht, dass ich eines gehabt hätte. „Wie bitte?“
Ces hob eines der Blätter auf, die der kleine Baum auf dem Grabhügel abgeworfen hatte. „Ein Ginkgo. Deshalb habe ich mir erlaubt, Goethe zu zitieren, der sich in seinem Gedicht über die zweigeteilte Blattform des Baums auslässt.“
Ich sah ihn immer noch verständnislos an.
„Lyrik über die heimische Flora und Fauna lässt sich problemlos in gängige Gesprächsthemen einflechten und erfreut sich bei den Yashti großer Beliebtheit“, erklärte er leicht verlegen. „Ich wollte dich nicht stören.“ Er verstand wohl die Situation und sah, dass ich trauerte, wenn er auch nicht wissen konnte, um wen.
Ich schüttelte den Kopf. „Hast du nicht. Wie geht es weiter?“
„Solche Fragen zu erwidern fand ich wohl den rechten Sinn“, zitierte er. „Fühlst du nicht an meinen Liedern, dass ich eins und doppelt bin?“
„Hm.“ Ich wollte mir nicht anmaßen, das Gedicht auf Anhieb verstanden zu haben, aber mit eins und doppelt kannte ich mich aus. Herz und Verstand. Amazone und Höhlenweibchen. Und zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich mich nicht für eine der beiden entscheiden musste. Ich liebte mit dem ganzen Herzen des Höhlenweibchens, aber ich würde mit dem Verstand und der Stärke der Amazone nach Louis suchen.
Und es galt, keine Zeit zu verlieren. Ich riss eins der Ginkgoblättchen ab, faltete es und verstaute es in meinem Medaillon. Ces sah mir neugierig zu, verzichtete aber glücklicherweise auf Fragen. Überhaupt war er angenehm unaufdringlich, wie ich dankbar registrierte.
„Hier können wir nicht bleiben“, fasste ich das
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