Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
gewesen.“
Ich zögerte. Wenn ich die Saveris vor Atalantes Zorn beschützen wollte, durften sie auf keinen Fall von meiner und damit ihrer wahren Vergangenheit erfahren. Louis hatte ich, ohne nachzudenken, davon erzählt und es hätte ihn fast sein Leben gekostet. Aber ich würde Ces auch nicht die Unwahrheit sagen. Ich hatte genug vom Lügen und Taktieren.
„Ja, das stimmt. Ich habe eine Zeit lang in Citey gelebt, bin dort vor dem Verfall auch zur Schule gegangen.“
„Verstehe.“
Ich war überrascht. „Tatsächlich?“
„Als Diadoka musst du das richtige Leben kennenlernen, abseits des Elfenbeinturms Themiskyra. Atalante hat ja auch in Citey studiert, soviel ich weiß.“
„Ja, das hat sie.“ Ich räusperte mich. „Ich wüsste einen Ort, wo wir vielleicht unterkommen können. Falls sich dort niemand anderes eingenistet hat.“ Ich dachte an die Kaiman, die Vatwaka, die meinen Vater umgebracht hatten, um an die Arzneimittel seiner Apotheke heranzukommen. Tattooschädel, Vokuhila und Lederjacke, dem ich ins Bein geschossen hatte. Meine erste Gewalttat. In meiner Brust brodelten Schmerz und Zorn auf. Sollten sie wirklich noch dort sein, was ich bezweifelte, würde ich nicht auf weitere Gewalttaten verzichten. „Dort habe ich damals gelebt.“
„Bei Verwandten?“
„Ja.“
„Leben sie noch dort?“
„Nein“, erwiderte ich so harsch, dass Ces darauf verzichtete weiterzufragen.
Je näher wir Citey kamen, desto mehr Menschen begegneten uns, hauptsächlich zerlumpte Gestalten, die am Straßenrand kampierten. In der warmen Nachmittagssonne boten ihre aus Plastikplanen, Holz und Wellblech zusammengeschusterten, bunten Hütten ein fast heiteres Bild, aber ihre erschöpften, ausgezehrten Gesichter erzählten eine andere Geschichte.
Wir ignorierten ihre bettelnden Rufe nach Nahrung oder Schnaps. Wir hatten selbst fast nichts mehr – und selbst wenn noch mehr von unseren Vorräten übrig gewesen wäre, hätte es niemals gereicht. Es mussten Hunderte, wenn nicht Tausende sein, die versuchten, hier an der Stadtgrenze ihr Leben zu bestreiten, im Versuch die fragwürdigen Vorteile der Stadt mit dem Nahrungsangebot des Umlands zu verbinden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Louis unter ihnen war. Dennoch sah ich jedem Einzelnen ins Gesicht.
Wir ritten durch die Vorstädte und das Viertel, in dem ich gewohnt hatte. Die Stadt hatte sich verändert. Man hatte begonnen, sich mit dem Verfall zu arrangieren und das neue Leben zu akzeptieren. Gelernt, das Beste daraus zu machen. Bis auf Vogelgezwitscher und das vereinzelte Bellen eines Hundes war es still, trügerisch friedlich.
Auf den aufgebrochenen Straßen und den vermoderten Sitzgarnituren verrostender Autos wuchs Gras. Laub und Äste lagen herum, Bushäuschen waren abmontiert, Trambahnschienen verrostet. Die Stadt stank. Sicher, Citey war noch nie ein sehr wohlriechender Ort gewesen, schon gar nicht im Sommer, aber seit dem Verfall hatte sich das nicht eben gebessert. Immerhin war es nicht mehr so schlimm wie direkt nach der Apokalypse, als sich noch Müllberge in den Straßen aufgetürmt hatten. Immer noch lagen verblichene Müllsäcke herum, aber ihr Inhalt war verrottet und kein neuer Abfall dazugekommen. Was davon noch für irgendwas verwendbar war, hatten die übriggebliebenen Bewohner der Stadt heraussortiert und umfunktioniert. Es wurden keine neuen Joghurtbecher mehr produziert, damit wurden die alten kostbar.
Die Häuser, die seit Jahren nicht mehr bewohnt waren, waren verfallen und wurden langsam von ihren Gärten überwuchert. Bestandteile wie Gartentüren und Regenrinnen fehlten zum Teil und waren offenbar neuen Zwecken zugeführt worden. Auch die wenigen Gebäude, die noch bewohnt waren, sahen anders aus. Fast alle Fenster waren zumindest im Erdgeschoss vergittert oder mit Holzplanken verbarrikadiert und die Zäune mit Stacheldraht umwickelt. Die Vorgärten wirkten völlig verwildert, während die Gärten hinter den Häusern, deren tadellose Rasenflächen und gepflegte Blumenbeete früher der Stolz ihrer Besitzer gewesen waren, nun Gewächshäusern und Nutzflächen mit langen Reihen von Krautköpfen, Kartoffeln und Rüben gewichen waren. Bisweilen arbeiteten Menschen in diesen Gärten und wenn sie meine Neugier bemerkten, starrten sie grimmig zurück.
Je näher wir meinem alten Zuhause kamen, desto schneller trieb ich Hekate an. Als wir in die Straße bogen, in der ich gewohnt hatte, galoppierte sie fast. Vorbei an den leeren Häusern
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