Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
Verne hatte inzwischen die Zettel auf den Magnettafeln umgeordnet und manche auf dem Tisch ausgebreitet. Er zeigte auf einen von ihnen.
„Okay. Nia und ich müssen heute die Lieferung für Shirokkos Leute aus Eichenfall holen, außerdem brauchen wir Heu für die Pferde. Das wird bis zum späten Nachmittag dauern.“ Nachdenklich besah er sich seine Mitstreiter, dann blieb sein Blick an mir hängen. „Ell, ich weiß, dass du eigentlich etwas anderes vorhast, aber dürfte ich dich um einen großen Gefallen bitten?“
Ich war so dankbar für die Hilfe der Arkadier, dass ich nicht zögerte. „Natürlich.“
„Wir müssen Ware in die Residenz schaffen. Da Will aus bekannten Gründen heute ausfällt – könntest du mit Chiara und Munin das übernehmen? Wenn die Ware nicht bewacht wird, wird sie geklaut, sobald du dich nur einmal kurz umdrehst. Dafür brauche ich drei Leute“, erklärte er.
„Kein Problem.“ Der Schwarzmarkt war der perfekte Ort, um mit meiner Suche nach Louis zu beginnen. Jeder brauchte irgendetwas. Jeder besuchte die Märkte.
Verne schien erleichtert. „Gut. Danke. Hier habt ihr die Liste mit den Sachen, die ihr mitnehmen müsst.“
Der barocke Bau der Residenz mit seiner ausladenden, von funktionslosen Springbrunnen eingerahmten Freitreppe sah auch jetzt noch beeindruckend aus. Nur dass jetzt nicht mehr Regierungsangehörige und Reporter das Bild bestimmten, sondern das Volk, Händler und Käufer. Ausgestattet mit Körben, Leiterwägen oder Kutschen trieben sie sich auf dem Vorplatz herum, wo das Feilschen bereits begann, oder strömten in das Gebäude. Doch nicht nur Ware wurde hier getauscht, sondern offenbar auch Dienstleistungen. Neben den recht eigenwillig gekleideten Jahika, die sich an den Hauswänden räkelten und jedem mehr oder in meinem Fall eher weniger verlockende Angebote zuriefen, reihten sich auch andere Arbeitssuchende.
Geisteswissenschaftler sucht Stelle als Hauslehrer gegen freie Kost und Logis , las ich auf einem der Schilder, die die Leute hochhielten oder an Schnüren um die Hälse baumeln hatten. Haareschneiden – heute zum Billigtausch! Oder: Medium nimmt Kontakt zu Ihren werten Verblichenen auf – mit Erfolgsgarantie! Daneben die übliche Handvoll Wander- und Endzeitprediger der verschiedensten Konfessionen, die von Kisten oder Ladeflächen herab nach Moral, Anstand und Umkehr verlangten. Um die Menge zu motivieren, beschrieben sie die Hölle, die sie andernfalls erwarten würde, in drastischen Bildern, wie sie keinen der Anwesenden mehr schocken konnten. Sie alle hatten ihre persönliche Variante davon bereits erlebt.
Munin und Chiara hatten begonnen, Ware abzuladen und ich beeilte mich, ihnen zu helfen. Bevor wir aufgebrochen waren, hatten wir die Sachen aus dem Tresorraum im Keller des Warenhauses nach oben geschleppt und in einem der beiden Planwagen untergebracht. Bis auf die schweren Eisenteile wurde nun alles wieder heruntergehoben.
„Wärst du so nett, hier zu bleiben und den Wagen zu bewachen?“, fragte mich Munin. „Chiara und ich bringen die Kisten rein. Sie bleibt dann dort und passt auf die Sachen auf, während ich den Rest hole.“
„Klar.“
Einen halben Blick stets auf die Ladefläche gerichtet ließ ich die andere Hälfte weiter durch die Menschenmenge schweifen.
Ein dunkel uniformiertes, diesmal jedoch rein männliches Doppelpack von Charondas' Erben spazierte über den Platz. Ihre Blicke blieben an meinem Schwert kleben. Sie musterten mich von Kopf bis Fuß und ich starrte hoch erhobenen Hauptes und mit steinerner Miene zurück, bis sie schließlich weiterschlenderten.
Einer der angeblichen Seelenretter hatte seine flammende Predigt beendet und stieg von einer Truhe herab in die teils neugierige, teils belustigte Menschentraube, die sich um ihn versammelt hatte. Er erwies sich jedoch als kein Stück weniger käuflich als die Jahika, als er anschließend versuchte, den Anwesenden eigens zugeschnittene Gebete gegen Bier aufzuschwatzen. Der Großteil der Menge verstreute sich schnell, aber ein paar Leute blieben tatsächlich und gingen auf den fragwürdigen Tauschhandel ein. Bettler kauerten auf den Stufen zur Residenz und hielten ihre geöffneten Handflächen den Vorübereilenden hin, die sie aber ignorierten oder sogar zur Seite stießen. Das hier war definitiv eine andere Liga als der kleine Schwarzmarkt, den ich aus der Stadtteilbücherei kannte.
Ich sah jedem Einzelnen ins Gesicht, jedem Händler, jedem Käufer, jedem Bettler,
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