Themiskyra – Die Suche (Band 3) (German Edition)
dass Hekate unruhig wurde. Lebende Hindernisse war sie nicht gewohnt, aber ich hielt unbeirrt auf die Menschenkette zu und sie beschloss offenbar, die Marodeure wie jedes andere Hindernis zu behandeln, das nicht zu groß war – und setzte mit einem Sprung über sie hinweg. Schmerz explodierte in meinem Schienbein, als die Fahrradkette mit Wucht dagegen geschleudert wurde. Ich ignorierte ihn, obwohl mir Tränen in die Augen schossen, und wandte mich kurz im Sattel um, um zu sehen, dass Ces zwei Meter hinter mir war und drei der Typen auf dem Boden lagen. Der Rest der Meute nahm brüllend die Verfolgung auf. Ein Pflasterstein sauste an meinem Kopf vorbei.
Ich duckte mich nahe an Hekates Hals. „Gut gemacht“, flüsterte ich ihr zu.
„Alles klar?“, fragte Ces atemlos, während wir die Straße entlanggaloppierten.
„Ja“, erwiderte ich atemlos. „Links rein.“
Wir bogen in eine Gasse und ich versuchte, mich zu erinnern, wo genau wir uns befanden. Überall lagen Trümmer herum; wir konnten nicht riskieren, dass die Pferde stürzten, und drosselten die Geschwindigkeit. Doch hinter uns ertönten noch immer die wütenden Rufe der Vatwaka. Hektisch blickte ich um mich.
Eine reichverzierte, barocke Fassade inmitten der schlichten Altstadthäuser erregte meine Aufmerksamkeit. Unter einem hohen, schmalen Bogenfenster, dessen Glasscheiben zu einem großen Teil noch intakt waren, befanden sich zwei hölzerne Flügeltüren. Irgendwie kam mir der Anblick vage bekannt vor.
„Da rein.“
Vielleicht wäre es schlauer gewesen, mehr Abstand zwischen uns und unsere Verfolger zu bringen, aber ich war mir nicht sicher, ob wir nicht vom Regen in die Traufe gerieten, sprich von einem Vatwaka-Revier ins nächste, wenn wir blindlings weiterhetzten. Lieber erst mal verstecken.
Schnell führten wir die Pferde hinein, schlossen die Holztüren hinter uns und lehnten uns aufatmend dagegen.
„Eine Kirche“, flüsterte Ces.
Ich sah mich um. Zu meiner Überraschung war es nicht vollkommen dunkel. Das kleine Gotteshaus war geplündert worden, alles Gold geraubt, Kronleuchter auf der Suche nach Glühbirnen heruntergerissen, die Kirchenbänke größtenteils zu Brennholz verarbeitet worden. Und doch hatten ein paar Unermüdliche vorne am Seitenaltar ein paar Kerzen angezündet. Der Anblick rührte mich irgendwie, hielt das Eis in meinem Herzen auf, zog mich an. Nur mit halbem Ohr bekam ich mit, dass draußen die Horde von Andraket vorbeistürmte. Ich stieß mich von der Tür ab und ging langsam den Mittelgang entlang.
Früher hatte mir mein Vater öfter einen Taler zugesteckt, wenn wir Kirchen besichtigt hatten, damit ich auch eine Kerze dazustellen konnte. Ich hatte immer gedacht, dass ich sie für meine Mutter angezündet hätte. Jetzt hätte ich gerne eine für meinen Vater gekauft und diesen kleinen, warmen, von den Gräueln der Stadt scheinbar unberührten Lichtfleck vergrößert, aber es war zu spät. Kein Geld, kein Opferstock, keine Kerzen.
Ich begnügte mich damit, die erloschenen Kerzen, die noch nicht ganz heruntergebrannt waren, wieder anzuzünden und sie sorgsam zurechtzurücken.
Es war nicht die Ehrfurcht, die mich in die Knie zwang, als ich danach den Kopf hob und die Statue sah, die über dem Altar aufgestellt war. Die Überraschung nahm mir den Atem und die Erschöpfung ließ mich auf den Boden sinken.
Es war eine eher kitschige, lebensgroße Marienstatue aus bemaltem Holz, die die Plünderei offenbar unbeschadet überstanden hatte. Fast unbeschadet, relativierte ich. Auf ihrem Kopf musste sich eine Krone, vermutlich aus Gold, befunden haben, die ringförmig abgeplatzte Farbe dort wies darauf hin. Der Rest war wohl nicht als wertvoll erachtet worden.
„Ich dachte, ihr glaubt an Artemis“, ertönte Cesares verwunderte Stimme hinter mir.
„Schau doch hin“, sagte ich und war erstaunt, wie sanft meine Stimme klang. „Das ist sie doch.“
Lange schwarze Haare umrahmten ein schönes, liebevolles Gesicht. Sie hatte ihre Augen auf mich gerichtet und schien zu lächeln. Ihr weißes, faltenreiches Kleid war von einem goldenen Band gegürtet und ihre nackten Füße standen auf einem silbernen Sichelmond, der wie ein Bogen aussah.
Mit einer aufmunternden Geste hielt sie mir ihre Hand entgegen.
Die Artemis aus meinem Traum. Eins zu eins. Meine Retterin, Louis Retterin, die Göttin, die ich in meiner verzweifeltsten Stunde um Hilfe angefleht hatte und deren Tribut so grausam gewesen war. Die von mir verlangt hatte,
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