Themsen, V: Elfenzeit 17: Korsar der Sieben Stürme
Annuyn.« Er musste an Nadja denken, die sich einst aufgemacht hatte, Rian aus dem Reich des Grauen Herrn zurückzuholen.
»Genau da liegt das Problem«, beharrte der Pirat, während das Beiboot schaukelnd in das Wasser tauchte. »So, wie die Grenzen zwischen Menschenwelt und elfischer fließend sind, so könnten sie es auch zum Totenreich hin sein. Natürlich gibt es dafür keine Beweise. Aber Geschichten, eine Unmenge sogar! Und sie erzählen von Leuten, die hier an Land gingen und nie wieder gesehen wurden.«
Arun riss die Augen auf und hob die Hände, als wäre er Samhain persönlich und wollte dem Kobold seinen Schatten entreißen. »Ihr wisst doch, einzig die großen Helden dürfen aus Annuyn zurückkehren und nur, wenn sie drei Fragen beantworten können.«
Sichtlich eingeschüchtert drückte Pirx sich an den Grogoch, nahm die Mütze vom Kopf, in der immer noch die schillernde Perle steckte, und kaute darauf herum. »Aber ich will kein dummer Schatten werden«, piepste er zaghaft.
»Wer will das schon?«, fragte der Piratenkapitän geradezu fröhlich. Er ließ sich polternd auf die quer gespannte Holzbank fallen, griff nach den Riemen und ruderte los. »Wahrscheinlich sind das nur Märchen, die von schreckhaften Säufern oder verwirrten Alten erzählt werden.«
Das beruhigte weder den Grogoch noch Pirx. Zusammengekauert hockten sie auf dem Boden und lauschten dem regelmäßigen Platschen der Riemen, die ins Wasser tauchten und im nächsten Moment wieder spritzend hervorkamen. Nein, Grog hatte ganz und gar keine Lust, auf Nimmerwiedersehen im Totenreich zu verschwinden, bevor seine Zeit gekommen war. Und sollte Fanmór erfahren, dass die Kobolde Rhiannon verloren hatten, dürfte der Kobold selbst dort nicht vor dem Zorn des Herrschers der Sidhe Crain sicher sein.
Kaum waren sie an der Küste angekommen, stand Arun auf, drehte sich in Fahrtrichtung und begann im Stehen, einen der Riemen abwechselnd links und rechts in das Wasser zu tauchen. Er wirkte beinahe wie ein venezianischer Gondoliere. Der Mond spiegelte sich auf der zitternden Wasseroberfläche und spendete ein wenig Licht.
Kleine Kanäle führten vom Meer aus zwischen Mangroven tiefer in das Innere. Zu den Rudergeräuschen gesellten sich weitere. Es gluckerte und tropfte, knirschte und schabte. Und je weiter die drei Retter in das Gewirr eindrangen, umso düsterer wurde es. Die Stämme der Bäume bogen sich über den schmalen Wasserstraßen, steckten ihre Köpfe zusammen und trugen Haar aus Moos und Spinnweben. Vögel krächzten in den Baumwipfeln, Insekten zirpten, Frösche quakten. Grog schien es, als würden die Pflanzen selbst miteinander wispern.
»Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?«, fragte der Pixie mit eingezogenem Kopf und dünner Stimme.
»Ein Käpt’n weiß immer, wo es langgeht!«, antwortete Arun, doch seinem Gesicht war abzulesen, dass die Wahrheit ganz anders aussah.
Trotzdem glitten sie langsam Schlag um Schlag weiter hinein in diese verwunschen wirkende Landschaft. Das Dach aus Ästen und Ranken wurde so dicht, dass sie in der Dunkelheit kaum noch die Hand vor Augen sahen.
Ein Tier schrie wehklagend auf, und Grog fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. »Wir hätten eine Laterne mitnehmen sollen«, sagte er.
»Um damit die Toten anzulocken? Nein, nein, mein Lieber. So einfach machen wir es den Schatten nicht, uns zu holen.«
»Ich dachte, das sind nur Märchen.« Wimmernd umklammerte Pirx seine Perle und knabberte schon wieder an der Mütze.
»Also, ich bin sicher, dass das hier nicht Annuyn ist«, erwiderte der Kapitän im Flüsterton. »Aber ich kann nicht beschwören, ob nicht doch der eine oder andere Geist hier herumschwirrt. Und mit denen sollte man es sich auf keinen Fall verscherzen, glaubt mir. Ich weiß, wovon ich spreche.«
»Warst du schon mal hier?«, fragte Grog.
»In gewisser Weise … ja. Es ist zwar nicht gerade so, dass ich täglich jungfräuliche Prinzessinnen aus den Klauen der Suradet-Familie befreie, aber es gab in der Vergangenheit durchaus Ereignisse, die es … sagen wir mal … nötig machten, sich durch die Hintertür einzuschleichen, um den Kopf auf den Schultern zu behalten.«
»Und was für Umstände waren das?«, bohrte der Grogoch eisern nach. Dabei verscheuchte er eine dicke, grünlich glänzende Fliege, die es sich auf seinem Handrücken gemütlich gemacht hatte.
Der Pirat wiegte den Kopf hin und her. »Es gab da eine Frau, eine junge Orang Laut, die auf der Burg
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