Theo Boone und der unsichtbare Zeuge
Robe und setzte sich.
» Die Anklage kann ihre erste Zeugin aufrufen«, sagte er an Jack Hogan gewandt.
Durch eine Seitentür eskortierte ein anderer Gerichtsdiener eine gut gekleidete Dame in den Sitzungssaal und zum Zeugenstand. Sie legte die Hand auf die Bibel und schwor, die Wahrheit zu sagen. Als sie saß und das Mikrofon richtig eingestellt war, begann Mr. Hogan mit der Befragung.
Ihr Name war Emily Green, und sie war die Schwester von Myra Duffy. Sie war vierundvierzig, lebte in Strattenburg, arbeitete als Fitnesstrainerin und hatte am Tag des Mordes genau das getan, was Mr. Hogan in seinem Eröffnungsplädoyer beschrieben hatte. Als ihre Schwester nicht zum Mittagessen erschien und auch nicht anrief, wurde sie nervös und geriet allmählich in Panik. Sie versuchte mehrfach, Myra Duffy auf dem Handy zu erreichen, und raste dann nach Waverly Creek, wo sie ihre Schwester leblos auf dem Wohnzimmerteppich ihres eigenen Hauses fand.
Zumindest für Theo war offensichtlich, dass Mr. Hogan und Ms. Green ihre Aussage sorgfältig geübt hatten. Es ging darum, das Auffinden der Leiche zu beschreiben und Sympathien zu wecken. Als sie fertig waren, erhob sich Clifford Nance und erklärte, er verzichte auf ein Kreuzverhör.
Ms. Green wurde entlassen und setzte sich neben ihre beiden Neffen in die erste Reihe, direkt vor Mr. Mounts Klasse.
Der nächste Zeuge war Detective Krone von der Mordkommission. Mithilfe der großen Leinwand und des Projektors schilderte er gemeinsam mit Jack Hogan die Wohnanlage, das Haus der Duffys und den Tatort. Verschiedene wichtige Fakten wurden festgestellt, die den Geschworenen allerdings bereits bekannt waren. Die Haustür hatte offen gestanden. Die Hintertür und die Seitentür zum Garten waren nicht abgesperrt gewesen, die Alarmanlage nicht eingeschaltet.
Aber es gab auch neue Fakten. Im Haus waren die Fingerabdrücke von Mr. Duffy, Mrs. Duffy und der Haushälterin gefunden worden, was allerdings zu erwarten war. An Türklinken, Fenstern, Telefonen, Schubladen, Schmuckkästchen und der antiken Mahagonischatulle, in der Mr. Duffy seine wertvollen Uhren aufbewahrte, waren keine anderen Abdrücke gefunden worden. Das konnte zweierlei bedeuten: Der Einbrecher/Mörder konnte Handschuhe getragen bzw. seine Fingerabdrücke sorgfältig abgewischt haben, oder der Mord war von Mr. Duffy oder der Haushälterin begangen worden. Die Haushälterin hatte am Tag des Mordes freigehabt und war mit ihrem Mann weggefahren.
Die Person, die sich Schmuck, Waffen und Uhren angeeignet hatte, hatte auch verschiedene andere Schranktüren und Schubladen aufgerissen und Gegenstände auf den Boden geworfen. Detective Krone, dessen Vortrag ziemlich eintönig war, ging systematisch die Fotos von der Zerstörung durch, die der Dieb/Mörder hinterlassen hatte.
Zum ersten Mal zog sich die Verhandlung in die Länge. Mr. Mount merkte, dass einige Jungen unruhig wurden. Mehrere Geschworene wirkten schläfrig.
Um Punkt 15.00 Uhr schlug Richter Gantry mit dem Hammer auf den Tisch und unterbrach die Verhandlung für fünfzehn Minuten. Der Saal leerte sich rasch. Alle brauchten eine Pause. Theo und seine Freunde stiegen vor dem Gericht in einen kleinen gelben Bus und waren zehn Minuten später pünktlich zum Unterrichtsschluss wieder in der Schule.
Eine halbe Stunde, nachdem er das Gericht verlassen hatte, war Theo zurück. Er sprintete die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Vom Krieg der Finnemores war nichts zu sehen– keine Anwälte im Gang, keine Spur von April. Am Vorabend hatte sie weder angerufen noch auf seine E-Mails geantwortet, und auf Facebook hatte sie auch nichts geschrieben. Ihre Eltern erlaubten ihr kein Handy, sodass sie auch keine SMS schicken konnte. Das war aber nicht ungewöhnlich. Etwa die Hälfte der Achtklässler an seiner Schule hatte kein Handy.
Theo sauste nach unten in den ersten Stock, betrat unter dem argwöhnischen Blick von » Sheriff« Gossett den Sitzungssaal und setzte sich in die dritte Reihe hinter dem Tisch der Verteidigung. Der Angeklagte, Mr. Duffy, saß keine sechs Meter von ihm entfernt. Theo konnte hören, wie sich seine Anwälte wichtige Mitteilungen zuflüsterten. Omar Cheepe war auch noch da und registrierte, dass Theo wieder im Saal saß. Als erfahrener Beobachter nahm Cheepe jede Bewegung wahr, bei ihm wirkte das jedoch so beiläufig, als wäre es ihm im Grunde egal.
Der Zeuge war ein Arzt, der Rechtsmediziner, der die Autopsie des Opfers vorgenommen hatte. Er benutzte
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