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Theo Boone und der unsichtbare Zeuge

Theo Boone und der unsichtbare Zeuge

Titel: Theo Boone und der unsichtbare Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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die Vorschriften können vom Richter geändert werden, wenn es erforderlich ist.«
    » Das kommt in der nächsten Instanz nicht durch.«
    » Da wäre ich mir nicht so sicher.«
    Und so ging es hin und her. Theo verstummte. Er überlegte, ob er seine Eltern daran erinnern sollte, dass keiner von ihnen auf Strafrecht spezialisiert war, aber dann hätten sich beide auf ihn eingeschossen. Solche Diskussionen waren im Hause Boone an der Tagesordnung. Theo hatte beim Essen, auf der Veranda und sogar auf dem Rücksitz des Autos viel über Recht gelernt.
    Zum Beispiel hatte er erfahren, dass seine Eltern als Anwälte Organe der Rechtspflege waren. Das hieß, ihre Aufgabe war es, dem Recht in geordneten Verfahren zur Geltung zu verhelfen. Wenn sich Staatsanwälte oder andere Rechtsanwälte unethisch verhielten, die Polizei gegen Regeln verstieß oder ein Richter seine Kompetenzen überschritt, war es die Pflicht seiner Eltern, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Seinen Eltern zufolge ignorierten viele Anwälte diese Verantwortung, aber seine Eltern nahmen sie sehr ernst.
    Theo traute sich nicht, ihnen von Julios Cousin zu erzählen. Bei ihrem Pflichtgefühl konnten sie wahrscheinlich nicht anders, als damit direkt zu Richter Gantry zu gehen. Der Cousin würde abgeholt, vor Gericht gezerrt, zur Aussage gezwungen und dann als illegaler Einwanderer festgenommen werden. Er würde ins Gefängnis kommen und schließlich in Abschiebehaft, was, wenn man Mr. Mount glauben wollte, Monate dauern konnte, bis er schließlich nach El Salvador zurückgeschafft werden würde.
    Damit hätte Theo seine Glaubwürdigkeit verloren und der Familie ernsten Schaden zugefügt.
    Andererseits würde dann ein Schuldiger verurteilt werden. Sonst würde Pete Duffy vermutlich als freier Mann das Gericht verlassen. Er würde mit einem Mord davonkommen.
    Theo würgte einen Bissen kaltes Hühnerfleisch herunter.
    Es würde eine unruhige Nacht werden.

Elf
    Als die Albträume kurz vor Sonnenaufgang aufhörten, hatte sich Theo damit abgefunden, dass es mit dem Schlaf vorbei war. Lange fixierte er die Zimmerdecke, während er darauf lauschte, ob seine Eltern endlich aufstanden. Er sagte Judge, der unter seinem Bett schlief, guten Morgen.
    Während der Nacht war er mehrfach zu dem Schluss gekommen, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich in aller Frühe mit seinen Eltern zusammenzusetzen und ihnen die Geschichte von Julios Cousin zu erzählen. Aber er hatte es sich immer wieder anders überlegt. Als er schließlich aus dem Bett stieg, war die Entscheidung gefallen: Er brachte es nicht über sich, das Versprechen zu brechen, das er Julio und seinem Cousin gegeben hatte. Er durfte nichts erzählen. Wenn deswegen ein Schuldiger straffrei ausging, war das nicht Theos Problem.
    Oder doch?
    Mit dem üblichen Lärm absolvierte er sein Morgenritual: Dusche, Zähneputzen, Zahnspange, die tägliche Qual der Wahl bei der Kleidung. Wie immer dachte er an Elsa und ihre ärgerliche Angewohnheit, seine Hemden, Hosen und Schuhe daraufhin zu inspizieren, ob auch alles zusammenpasste und nichts davon in den letzten drei Tagen getragen worden war.
    Kurz vor sieben hörte er seinen Vater aus dem Haus gehen. Seine Mutter rumorte im Fernsehzimmer, wo sie das Morgenprogramm sah. Punkt halb acht schloss Theo die Badezimmertür, klappte sein Handy auf und rief Onkel Ike an.
    Ike war kein Frühaufsteher. Sein Job als Steuergehilfe verlangte ihm viel zu wenig ab und ließ ihn den Tag nicht gerade mit Begeisterung angehen. Er lag Theo ständig damit in den Ohren, wie öde seine Arbeit war. Aber das war nicht das einzige Problem. Unglücklicherweise trank Ike zu viel und kam deswegen am Morgen nur langsam in die Gänge. Im Laufe der Jahre hatte Theo die Erwachsenen immer wieder über Ikes Trinkerei tuscheln hören. Einmal hatte Elsa Vince wegen Ike etwas gefragt. » Wenn er nüchtern ist, vielleicht«, hatte der kurz angebunden geantwortet. Das war nicht für Theos Ohren bestimmt gewesen, aber Theo hörte in der Kanzlei viel mehr, als die anderen ahnten.
    Schließlich meldete sich eine heisere, übellaunige Stimme. » Bist du das, Theo?«
    » Ja. Guten Morgen, Ike. Entschuldige, dass ich dich so früh störe.« Theo sprach so leise wie möglich in den Apparat.
    » Macht nichts, Theo. Du hast bestimmt was auf dem Herzen.«
    » Ja. Kann ich dich heute Morgen noch sprechen? Bei dir im Büro? Es ist was ganz Wichtiges passiert, und ich weiß nicht, ob ich es meinen Eltern erzählen

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