Theo Boone und der unsichtbare Zeuge
Boas zu tun.
» Zwei Meter zwanzig, soweit ich das beurteilen kann«, verkündete der Besitzer stolz. » Ziemlich lang.«
» Halten Sie in Ihrer Wohnung noch andere Schlangen?«, erkundigte sich der Richter.
» Mehrere.«
» Wie viele?«
» Vier.«
» Oh, mein Gott!« Der Nachbar wurde blass.
» Alles Boas?«, hakte der Richter nach.
» Drei Boas und eine Königsnatter.«
» Darf ich fragen, warum?«
Der Schlangenhalter rutschte auf seinem Stuhl hin und her und zuckte die Achseln. » Manche mögen Papageien oder Wüstenspringmäuse. Hunde, Katzen, Pferde, Ziegen. Ich hab’s eben mit Schlangen. Das sind nette Haustiere.«
» Nette Haustiere«, zischte der Nachbar.
» Ist es das erste Mal, dass eine abhaut?«, fragte Richter Yeck.
» Ja«, behauptete Hermanns Herrchen.
» Nein«, sagte der Nachbar.
So faszinierend Hermann und seine Probleme auch waren, Theo hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Zwei Faktoren lenkten ihn ab. Zum einen saß Hallie dicht neben ihm, was für Theo zu den angenehmsten Erfahrungen seines Lebens gehörte. Aber selbst das wurde durch die quälende Frage überschattet, was er wegen Julios Cousin unternehmen sollte.
Der Mordprozess gewann unaufhaltsam an Fahrt. Bald würden Anklage, Verteidigung und Zeugen gehört sein, und Richter Gantry würde die Sache den Geschworenen übergeben. Die Uhr lief.
» Sie müssen uns schützen, Euer Ehren«, wiederholte der Nachbar.
» Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?«, fragte Richter Yeck, der allmählich die Geduld verlor.
» Können Sie nicht anordnen, dass Hermann eingeschläfert wird?«
» Sie verlangen die Todesstrafe?«
» Warum nicht? Bei uns im Haus gibt es Kinder.«
» Scheint mir etwas überzogen.« Der Richter hatte offenbar nicht die Absicht, Hermann zum Tode zu verurteilen.
» Also bitte«, sagte der Tierhalter empört. » Der tut doch keinem was.«
» Können Sie dafür sorgen, dass die Schlangen Ihre Wohnung nicht verlassen?«, fragte der Richter.
» Ja. Sie haben mein Wort.«
» Dann gehen wir folgendermaßen vor«, entschied der Richter. » Sie nehmen Hermann mit nach Hause, und ich will ihn nie wieder sehen. Wir haben im Tierheim keinen Platz für ihn. Wir wollen ihn im Tierheim nicht haben. Im Tierheim kann keiner Hermann leiden. Verstanden?«
» Ist ja gut«, sagte der Schlangenfreund.
» Wenn Hermann noch einmal abhaut oder irgendeine von Ihren Schlangen außerhalb der Wohnung erwischt wird, muss ich die Tiere einschläfern lassen. Und zwar alle. Ist das klar?«
» Ja, Euer Ehren. Soll nicht mehr vorkommen, das verspreche ich.«
» Ich habe mir eine Axt gekauft«, drohte der Nachbar. » Eine mit langem Schaft. Hat mich im Baumarkt zwölf Dollar gekostet.« Er deutete wütend auf Hermann. » Wenn ich diese oder sonst irgendeine Schlange in meiner Wohnung oder sonst wo sehe, brauchen Sie sich gar nicht mehr zu bemühen, Euer Ehren.«
» Immer mit der Ruhe.«
» Ich schwöre Ihnen, ich bring ihn um! Hätte ich diesmal schon tun sollen, aber da habe ich nicht schnell genug geschaltet. Außerdem hatte ich keine Axt.«
» Das reicht«, sagte Richter Yeck. » Die Klage ist abgewiesen.«
Hermanns Herrchen stürzte sich auf den schweren Käfig und nahm ihn vorsichtig vom Richtertisch. Hermann wirkte völlig ungerührt. Die Debatte über seine Zukunft schien ihn nicht beeindruckt zu haben. Der Nachbar stürmte aus dem Raum. Hermann und sein Besitzer lungerten noch ein wenig herum und machten sich dann auch davon.
Als sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, nahm die Justizangestellte wieder ihren Platz in der Nähe des Richtertischs ein. Der Richter blätterte in seinen Papieren, blickte auf und sah Theo und Hallie an. Außer ihnen war niemand im Saal.
» Hallo, Mr. Boone«, sagte er.
» Guten Abend, Richter Yeck.«
» Du willst das Gericht anrufen?«
» Ja, Sir. Ich muss einen Hund abholen.«
Der Richter griff nach einem Blatt Papier, seiner Prozessliste. » Rocky?«, fragte er.
» Ja, Sir.«
» Schön. Tretet vor.«
Theo und Hallie gingen durch ein kleines Schwingtor zum einzigen Tisch. Theo zeigte ihr, wo sie sitzen sollte. Er selbst blieb stehen, wie ein richtiger Anwalt.
» Du hast das Wort.« Richter Yeck genoss die Situation. Offenbar gab sich der kleine Theo Boone große Mühe, seine bildhübsche Mandantin zu beeindrucken. Lächelnd erinnerte sich der Richter an Theos ersten Auftritt in diesem Sitzungsraum. Der Junge hatte große Angst gehabt und verzweifelt um das Leben
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