Theo Boone und der unsichtbare Zeuge
nicht mehr so verdächtig. Jack Hogan versuchte, den Zeugen im Kreuzverhör aus dem Konzept zu bringen, was ihm jedoch nicht gelang. Nachdem der Vertreter entlassen war, vertagte Richter Gantry die Verhandlung auf den folgenden Tag.
Theo sah zu, wie die Geschworenen den Saal verließen, während alle anderen warteten. Das Team der Verteidigung drängte sich mit selbstzufriedenen Mienen um Pete Duffy, einige gratulierten sich mit Handschlag zu diesem erfolgreichen Tag.
Sie wirkten sehr zuversichtlich. Omar Cheepe war nicht dabei.
» Ich will hier nicht darüber reden«, sagte Ike mit gedämpfter Stimme. » Kannst du ins Büro kommen?«
» Klar.«
» Jetzt?«
» Ich fahre dir nach.«
Zehn Minuten später saßen sie hinter verschlossener Tür in Ikes Büro.
Ike öffnete einen kleinen Kühlschrank, der hinter seinem Schreibtisch auf dem Boden stand. » Ich habe Budweiser und Sprite.«
» Budweiser«, sagte Theo.
Ike gab ihm eine Sprite und machte sich selbst eine Dose Bud auf. » Allzu viele Optionen hast du nicht«, meinte er und trank einen Schluck.
» Ist mir klar.«
» Erstens besteht die Möglichkeit, dass du nichts tust. Morgen ist Freitag, und es sieht so aus, als würde die Verteidigung ihr Vorbringen am Nachmittag vorläufig abschließen. Es heißt, Pete Duffy werde zuletzt aussagen. Kann sein, dass der Fall schon am späten Nachmittag zur Entscheidung an die Geschworenen geht. Wenn du nichts tust, zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Die Geschworenen können den Angeklagten für schuldig oder nicht schuldig befinden. Wenn sie sich nicht einigen können, gibt es keinen Urteilsspruch.«
Theo wusste das alles. Schließlich hatte er in den letzten fünf Jahren viel mehr Verhandlungen miterlebt als Ike.
» Zweitens kannst du mit deinem geheimnisvollen Zeugen reden und versuchen, ihn zu überreden, dass er sich umgehend meldet. Ich bin mir nicht sicher, wie Richter Gantry reagiert, wenn ihm plötzlich so eine Aussage aufgetischt wird. Das ist ihm bestimmt noch nie passiert, aber er ist ein guter Richter und wird wissen, was zu tun ist.«
» Diese Person wird sich bestimmt nicht melden. Dafür hat sie viel zu viel Angst.«
» Damit wären wir bei der dritten Option. Du kannst trotzdem zum Richter gehen und ihm, ohne den Namen des Zeugen zu nennen…«
» Ich weiß gar nicht, wie er heißt.«
» Aber du weißt, wer er ist, oder?«
» Ja.«
» Du weißt, wo er wohnt?«
» Ich weiß, in welcher Gegend. Die Adresse kenne ich nicht.«
» Weißt du, wo er arbeitet?«
» Vielleicht.«
Ike musterte Theo prüfend und trank einen weiteren Schluck aus der Dose. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
» Wie gesagt, du könntest dem Richter erklären, dass bei der Verhandlung ein wichtiger Zeuge fehlt, dessen Abwesenheit vermutlich zu einem falschen Urteilsspruch der Geschworenen führen wird, ohne dabei die Identität dieser Person preiszugeben. Der Richter wird natürlich Einzelheiten wissen wollen. Wer ist dieser Mensch? Wo arbeitet er? Wie und warum ist er zum Zeugen geworden? Was hat er genau gesehen? Und so weiter. Ich vermute, Richter Gantry wird dir tausend Fragen stellen, und wenn du die nicht beantwortest, könnte er sauer werden.«
» Mir gefällt keine der drei Optionen«, sagte Theo.
» Mir auch nicht.«
» Aber was soll ich tun, Ike?«
» Lass die Sache auf sich beruhen, Theo. Halt dich raus. Das ist keine Angelegenheit für ein Kind. Noch nicht einmal für einen Erwachsenen. Die Geschworenen stehen kurz davor, die falsche Entscheidung zu treffen, aber in Anbetracht des Beweismaterials kann man ihnen das nicht verübeln. Das System funktioniert nicht immer. Denk nur an all die Unschuldigen, die in der Todeszelle sitzen. Denk an die Schuldigen, die freigesprochen werden. Fehler passieren, Theo. Lass die Sache auf sich beruhen.«
» Aber dieser Fehler ist noch nicht passiert, und er lässt sich verhindern.«
» Da bin ich mir nicht so sicher. Es ist kaum vorstellbar, dass Richter Gantry einen großen Prozess, der kurz vor dem Abschluss steht, unterbricht, weil er von einem potenziellen Zeugen hört. Das ist höchst unwahrscheinlich, Theo.«
Dem musste Theo zustimmen. » Da hast du wohl recht.«
» Natürlich habe ich recht, Theo. Du bist noch ein Kind. Halt dich raus.«
» Okay, Ike.«
Eine lange Pause trat ein, während die beiden sich nur ansahen und darauf warteten, dass der andere etwas sagte.
Ike brach zuerst das Schweigen. » Versprich mir, dass du keine
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