Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
eingegraben, und deshalb verstehen wir, um mit der Bibel zu sprechen, die Seele Gottes; allein da die natürliche Erkenntniss eine allgemeine Gabe ist, so wird sie, wie gesagt, nicht so hoch geschätzt, und dies galt vorzüglich bei den Juden, die sich rühmten, Alle zu übertreffen, ja die Alle und folglich auch die Allen gemeinsame Erkenntniss zu verachten pflegten. Endlich sagte man von den Propheten, dass sie den »Geist Gottes« besässen, weil die Menschen die Gründe der prophetischen Erkenntniss nicht kannten, sondern sie bewunderten und deshalb, wie alles Ausserordentliche, auf Gott zu beziehen und die Erkenntniss Gottes zu nennen pflegten.
Ich kann mithin nunmehr ohne Bedenken behaupten, dass die Propheten nur mit Hülfe der Einbildungskraft die Offenbarungen Gottes erfasst haben, d.h. vermittelst Worte und Bilder, die entweder wirklich oder eingebildet waren. Denn da man in der Bibel keine anderen Mittel neben diesen findet, so darf man auch, wie erwähnt, keine anderen erdichten. Nach welchen Naturgesetzen dies nun vor sich gegangen ist, gestehe ich nicht einzusehen. Ich könnte zwar, wie Andere, sagen, es sei durch Gottes Macht geschehen, allein dies würde nur ein leeres Geschwätz sein; es wäre ebenso, als wenn ich das Wesen einer einzelnen Sache mittelst eines transscendentalen Kunstausdruckes erklären wollte; denn durch Gott ist, Alles gemacht. Da die Macht der Natur nur die eigene Macht Gottes ist, so erkennen wir offenbar Gottes Macht so weit nicht, als wir die natürlichen Ursachen nicht kennen, und es ist also thöricht, auf Gottes Macht sich zu berufen, wenn man die natürliche Ursache eines Gegenstandes, d.h. die Macht Gottes selbst nicht kennt. Indess brauche ich auch die Ursachen der prophetischen Erkenntniss nicht zu wissen; denn ich will, wie gesagt, hier nur die Urkunden der heiligen Schrift untersuchen, um aus denselben, als Thatsachen der Natur, meine Folgerungen abzuleiten; dagegen kümmere ich mich nicht um die Ursachen dieser Urkunden.
Wenn sonach die Propheten mit Hülfe ihrer Einbildungskraft die Offenbarungen Gottes erfasst haben, so haben sie unzweifelhaft Vieles erfassen können, was ausserhalb der Grenzen der menschlichen Erkenntniss liegt; denn aus Worten und Bildern lassen sich viel mehr Gedanken machen, wie aus blossen Prinzipien und Begriffen, auf welche unsere ganze natürliche Erkenntniss aufgebaut ist.
So erklärt es sich, weshalb die Propheten beinah Alles in Gleichnissen und Räthseln erfassen und lehren, und weshalb sie alles Geistige in Körperliches kleiden; es entspricht mehr der Natur der Einbildungskraft. Es kann deshalb nicht auffallen, dass die Bibel oder die Propheten so uneigentlich und dunkel über den Geist Gottes oder seine Seele sprechen, wie Num. XI. 17; 1. Könige XXII. 21 u.s.w., und weshalb Micha Gott sitzend, Daniel als einen mit weissen Kleidern angethanen Greis, Ezechiel wie ein Feuer, und die Gefährten Christi den heiligen Geist wie eine herabkommende Taube, und die Apostel wie feurige Zungen, und endlich Paulus bei seiner ersten Bekehrung wie ein grosses Licht erblickt haben. Dies Alles passt zu den Vorstellungen, welche die Menge von Gott und den Geistern sich gebildet hatte. Die Einbildungskraft ist ferner unbeständig und schwankend; deshalb haftete die Weissagung nicht lange an den Propheten; sie war auch nicht häufig, sondern sehr selten, und sie wurde nur bei sehr wenig Menschen und auch bei diesen nur selten angetroffen. Ist dies richtig, so fragt es sich, woher konnte den Propheten die Ueberzeugung in Dingen kommen, die sie nur mit der Einbildungskraft und nicht nach den festen Regeln des Verstandes erfassten? Auch die Antwort hierauf muss indess aus der Bibel entlehnt werden, da man, wie erwähnt, von diesen Dingen keine wahre Erkenntniss hat und sie aus den ersten Ursachen nicht ableiten kann. Was nun die Bibel von dieser Ueberzeugung der Propheten lehrt, werde ich im nächsten Kapitel darlegen, wo ich von den Propheten handeln will.
Zweites Kapitel
Von den Propheten.
Aus dem vorigen Kapitel erhellt, dass, wie gesagt, die Propheten nicht mit einem vollkommneren Geist, sondern nur mit einer lebhafteren Einbildungskraft begabt gewesen sind, und die Erzählungen der Bibel bestätigen dies zum Ueberfluss. So weiss man von Salomo, dass er an Weisheit, aber nicht an prophetischen Gaben hervorgeragt hat. Auch die Weisen Heman, Darda, Kalchol waren keine Propheten; dagegen besassen bäurische Personen ohne
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