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Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baruch de Spinoza
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Zeit für die gegenwärtige und für die vergangene, und umgekehrt diese für die kommende; ferner den Indicativ für den Imperativ und Conjunctiv auf Kosten aller Bestimmtheit der Rede.
     
    Neben diesen drei der hebräischen Sprache eigenthümlichen Ursachen der Zweideutigkeit muss ich noch zwei andere erwähnen, deren jede von noch viel grösserer Bedeutung ist. Die eine ist, dass die Hebräer keine Buchstaben für die Selbstlaute haben; die zweite, dass sie die Redetheile nicht durch besondere Interpunktions-Zeichen von einander trennen und dies weder ausdrücken noch andeuten. Wenn auch Beides, die Selbstlaute und diese Zeichen, durch Punkte und Striche nachgeholt werden können, so kann man sich doch nicht darauf verlassen, da sie von Leuten aus späteren Zeiten herrühren, deren Ansehen bei uns nicht gelten kann, da die Alten ohne Punkte, d.h. ohne Selbstlaute und Accente geschrieben haben, wie aus vielen Zeugnissen erhellt. Nur die Spätern haben, je nach der ihnen zusagenden Auslegung der Bibel, Beides hinzugefügt. Daher sind die jetzt vorhandenen Accente und Punkte nur Auslegungen der Neuem und verdienen nicht mehr Glauben und Ansehen als die übrigen Erklärungen der Autoren. Wer dies nicht kennt, weiss nicht, wie der Verfasser des Briefes an die Hebräer zu entschuldigen ist, dass er in Kap. XI. 21 den Text der Gen. XLVII. 31 ganz anders auslegt, als es in dem punktirten Texte lautet, als hätte der Apostel den Sinn der Bibel von den Punktisten lernen müssen, während nach meiner Ansicht die Punktisten die Schuld tragen. Damit Jedermann einsehe, wie der Unterschied blos von dem Mangel der Selbstlaute gekommen ist, will ich beiderlei Auslegung hier angeben. Die Punktisten haben mit ihren Punkten es so ausgelegt: »und es krümmt sich Israel oben«, oder wenn man den Buchstaben Hgain in das Alpha desselben Organs verändert, »gegen den Kopf des Lagers.« Dagegen sagt der Verfasser des Briefes: »und es krümmt sich Israel über den Kopf des Stabes«, indem er mate statt mita liest; ein Unterschied, der nur in den Selbstlautern liegt. Da nun in dieser Erzählung nur von dem einsamen Alter des Jakob, aber nicht, wie in dem folgenden Kapitel, von seiner Krankheit gesprochen wird, so scheint die Absicht des Geschichtschreibers wahrscheinlich die gewesen zu sein, dass Jakob sieh über den Kopf des Stabes, dessen die Greise hohen Alters zu ihrer Stütze bedürfen, aber nicht des Lagers gebeugt habe, zumal dann ein Umtausch der Buchstaben nicht nöthig ist. Mit diesem Beispiel habe ich nicht blos jene Stelle in dem Briefe an die Hebräer mit dem Text des 1. Buch Mosis vereinigen, sondern auch zeigen wollen, wie wenig man sich auf die heutigen Punkte und Accente verlassen kann. Jede vorurtheilsfreie Bibelerklärung muss hier mit Zweifeln vorgehen und von Neuem untersuchen.
     
    Aus diesem Bau und Zustand der hebräischen Sprache kann man, um auf meine Aufgabe zurückzukommen, leicht entnehmen, dass die hieraus entstehenden Schwierigkeiten durch kein Mittel der Auslegung ganz beseitigt werden können. Insbesondere kann man nicht hoffen, durch eine gegenseitige Vergleichung der Stellen dies zu erreichen, obgleich sie der einzige Weg bleibt, um den wahren Sinn einer Stelle aus den näheren, nach dem Sprachgebrauch zulässigen Bedeutungen zu ermitteln. Eine solche Vergleichung kann hier nur zufällig eine Erläuterung gewähren, da kein Prophet in der Absicht geschrieben hat, um seine oder Anderer Worte absichtlich zu erläutern. Auch kann man die Meinung des einen Propheten oder Apostels nicht aus der eines andern entnehmen, ausgenommen in Dingen, die den Lebenswandel betreffen, wie ich bereits gezeigt habe; dagegen ist es bei spekulativen Fragen und bei Erzählung von Wundern und Ereignissen nicht zulässig.
     
    Ich könnte nun durch Beispiele belegen, dass in der Bibel viele ganz unerklärbare Stellen enthalten sind; indess lasse ich dies jetzt gern bei Seite, da ich noch weiter auszuführen habe, welchen Schwierigkeiten die wahre Auslegungsweise der Bibel begegnet, und was hierbei noch zu wünschen übrig bleibt.
     
    Eine weitere Schwierigkeit entsteht nämlich daraus, dass zu diesem Mittel der Auslegung eine Kenntniss aller Unfälle, die die Bücher der Schrift betroffen haben, nöthig ist, während doch das Meiste davon unbekannt; denn die Urheber oder, wenn man lieber will, die Verfasser vieler Bücher sind uns entweder ganz unbekannt oder zweifelhaft, wie ich gleich zeigen werde. Auch die Gelegenheit,

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