Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
konnten, aber nicht die Bedeutung der Worte. Dazu kommt, dass, wer die gewohnte Bedeutung eines Wortes verändern will, nur schwer dies für die spätere Zeit im Sprechen und Schreiben festhalten kann. Dies und andere Gründe zeigen, dass es Niemandem in den Sinn hat kommen können, eine Sprache zu verfälschen, wohl aber oft die Meinung eines Schriftstellers durch Verdrehung und falsche Auslegung seiner Rede.
Wenn nun mein Verfahren, wonach das Verständniss der Bibel nur aus ihr selbst geschöpft werden soll, das einzig wahre ist, so muss man da alle Hoffnung aufgeben, wo dieses Mittel zum vollen Verständniss der Bibel nicht ausreicht. Die in der Bibel selbst enthaltenen Schwierigkeiten und Mängel für die Gewinnung eines vollen und sichern Verständnisses der heiligen Bücher werde ich hier darlegen.
Mein Verfahren trifft darin auf eine grosse Schwierigkeit, dass es die volle Kenntniss der hebräischen Sprache voraussetzt. Woher soll diese entnommen werden? Die alten hebräischen Sprachgelehrten haben der Nachwelt über die Grundlagen und die Gesetze dieser Sprache nichts hinterlassen; wenigstens besitzen wir nichts der Art von ihnen, kein Wörterbuch, keine Sprachlehre, keine Redekunst. Das jüdische Volk hat alle Zierden, allen Schmuck eingebüsst, was nach so viel Niederlagen und Verfolgungen nicht zu verwundern ist, und hat nur wenige Bruchstücke der Sprache und alten Bücher gerettet; die Namen der Früchte, der Vögel, der Fische und vieles Andere sind durch die Ungunst der Zeiten beinahe gänzlich verloren gegangen. Ferner ist die Bedeutung vieler Namen und Worte in der Bibel entweder ganz unbekannt oder bestritten. Neben Allem diesem entbehrt man vorzüglich der Lehre über die Satzbildung in dieser Sprache; denn die Ausdrücke und Redewendungen, welche dem jüdischen Volke eigenthümlich waren, hat die verzehrende Zeit beinahe sämmtlich aus dem Gedächtniss der Menschen vertilgt. Ich werde deshalb nicht immer, wie ich möchte, den verschiedenen Sinn einer Rede, welche sie nach dem Sprachgebrauch zulässt, ermitteln können; und wir werden vielen Reden begegnen, die zwar in den bekanntesten Worten ausgedrückt sind, aber deren Sinn sehr dunkel, ja unverständlich ist.
Zu diesem Mangel, dass man keine vollständige Geschichte der hebräischen Sprache hat, kommt die Natur und der Bau dieser Sprache hinzu, aus welchem so viel Zweideutigkeiten entspringen, dass sich kein Verfahren finden lässt, was zu dem wahren Sinn aller Sätze der Bibel mit Sicherheit führte. Denn neben den allen Sprachen gemeinsamen Ursachen der Zweideutigkeit hat diese Sprache noch besondere, welche die Quelle vieler solcher Zweideutigkeiten sind, und ich halte es der Mühe werth, sie hier anzugeben.
Die erste Zweideutigkeit und Dunkelheit in den Darstellungen der Bibel entspringt daraus, dass die Buchstaben derselben Sprachwerkzeuge einander vertreten. Die Juden theilen nämlich die Buchstaben des Alphabets in fünf Klassen nach den Organen, welche zu dem Sprechen dienen, nämlich nach den Lippen, der Zunge, den Zähnen, dem Gaumen und der Kehle. So heissen z.B. das Alpha, Ghet, Hgain, He Kehllaute und werden, so viel mir bekannt, ohne Unterschied einer für den andern gebraucht. El , was »zu« bedeutet, wird oft statt hgal gebraucht, was »über« bedeutet, und umgekehrt. Davon kommt es, dass alle Redetheile entweder zweideutig oder sinnlos werden.
Die andere Zweideutigkeit der Rede entspringt aus der mehrfachen Bedeutung der Binde- und Bei-Worte. So dient z.B.: Vau sowohl zum Verbinden wie zum Trennen; es bezeichnet: »und«, »aber«, »weil«, »hingegen«, »demnächst«. Ki hat sieben oder acht Bedeutungen und heisst: »weil«, »obgleich«, »wenn«, »wie«, »was«, »die Verbrennung« u.s.w. Und dasselbe gilt beinahe von allen diesen Nebenredetheilen.
Eine dritte Quelle vieler Zweifel ist der Mangel des Präsens, des Präteritums, Imperfects, Plusquamperfects, des Futuri perfecti und anderer in den übrigen Sprachen sehr gebräuchlichen Zeiten, bei dem Indicativ der Zeitworte. Ebenso fehlten denselben im Imperativ und Infinitiv alle Zeiten ausser dem Präsens, und im Conjunctiv haben die Zeitworte gar keine Zeitform. Allerdings kann dieser Mangel an Zeit- und Beziehungsformen nach gewissen aus den Grundlagen der Sprache entlehnten Regeln leicht, ja mit grosser Feinheit ergänzt werden; allein die alten Schriftsteller haben dies ganz verabsäumt und gebrauchen durch einander die zukünftige
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