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Theres

Theres

Titel: Theres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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eine Weise, die einen Zustand der Harmonie erzeugt. Disharmonie und daraus folgende Krankheitszustände werden stets von einem Überschuss einer dieser Säfte verursacht. Studiert man den Kerntrupp der RAF -Mitglieder entsprechend dem Schema der Humoralpathologie, bildet sich ein interessantes Muster heraus:
    BAADER ( Überschuss an Blut) – SANGUINIKER
    RASPE ( Überschuss an Schleim) – PHLEGMATIKER
    ENSSLIN ( Überschuss an gelber Galle) – CHOLERIKER
    MEINHOF ( Überschuss an schwarzer Galle) – MELANCHOLIKER
    Galens Schema passt beinahe unnatürlich gut auf die individuellen Persönlichkeiten der Gruppenmitglieder. Doch nicht das interessiert Herold in erster Linie, sondern inwiefern ein Mangel oder Defekt im eigenen Charakter (mochte man ihn nun den Überschuss eines bestimmten Körpersaftes nennen) auf überindividueller Ebene kompensiert werden kann, durch die soziale Interaktion , die von den Gruppenmitgliedern betrieben wird.
    Herold ist voreingenommen genug, um zu glauben, dass in der Gruppe Körpersäfte vermischt wurden, ebenso wie in der Folge auch Stoffe, die jeder für sich zwar ungefährlich sind, zusammen genommen gleichwohl ein explosives Ganzes bilden; aber was geschieht, wenn eins der vier Temperamente von den übrigen getrennt wird?
    Der Gedanke bringt ihn eine Zeitlang in extreme Erregung; bis die Lektüre von Galen und Hippokrates ihm sagt, es sei notwendig, eine gewisse Skepsis zu wahren. Er ist ja trotz allem nicht auf eine striktmechanische Erklärung aus, sondern eher auf eine symbolische Gestalt ; genauso, wie er zu einem früheren Zeitpunkt den Journalisten erklärt hatte, die Gesamtheit durch das Studium des Details zu rekonstruieren.
    Es ist offensichtlich, dass die Gruppe, wenn sie sich jetzt von Meinhof abtrennt (die ihr früher Gewicht und Substanz sowie ein gewisses Maß an sozialer und politischer Legitimität verliehen hatte), Selbiges tut, um »wieder aufzuleben«: den Transport entlang der Nervenbahnen zu intensivieren. Als Abgetrennte, wie wird Meinhof da wohl reagieren? Wenn obige Erklärung stimmt, wird sie keine qualitative Veränderung durchlaufen, sondern eher noch tiefer in ihrer »Natur« versinken. Damit dieses Sinken nicht in Blindheit und Ohnmacht endet, wird sie nach Vorbildern suchen, Artgenossen: Menschen, die ihr Temperament teilen und sich ehemals in vergleichbarer Situation befunden haben. Herold konsultiert seine Liste von »Zwangseingewiesenen« und findet umgehend mehrere denkbare Kandidaten: Rosa Luxemburg , die im Gefängnis ununterbrochen die Pflanzen in ihrem mentalen Herbarium ordnete und die, nach dem Selbstmord ihres »Seelenbruders« Hans Diefenbach, an ihre Freundin Sonja Liebknecht schrieb, dass sie beabsichtige die Botanik aufzugeben, um sich stattdessen der Geologie zu widmen; oder Antonio Gramsci , der in ähnlicher Situation die Tagespolitik aufgab, um mit den Mauern als einzige Gedankenstütze über die Philosophie der westlichen Welt zu schreiben.
    Mein Vögelchen, die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit, die nach vorsichtigen Berechnungen einige Dutzend Jahrtausende währt, basiert auf »der Herrschaft von Menschen über andere Menschen«, was seine Wurzeln in den materiellen Lebensbedingungen hat. Erst eine weitere schmerzhafte Entwicklung vermag das zu ändern, wir sind ja eben jetzt Zeugen eines dieser schmerzhaften Kapitel, und ihr fragt: Warum all das? Warum – – – ist ganz und gar kein Begriff für die Totalität des Lebens und dessen Formen.
    Auf welche Weise können die Konturen dieses abgetrennten, offenbar jedoch bevölkerten Kontinents gezeichnet werden? Diese Frage gibt Herold keine Ruhe, bis er bei weiteren Studien der Antike bei Herodot über die Antwort stolpert, der in seinen Historien die Geschichte eines gewissen Theras wiedergibt. Einst Vormund der Königssöhne von Sparta »mag er nicht anderen untertänig sein« und bricht auf, um ein eigenes Reich zu gründen auf jener Insel nahe der libyschen Küste, auf der er sein Heim und seinen Ursprung hat. Die Insel, die von da an seinen Namen tragen wird, lebt im Mythos weiter, als die am tiefsten gesunkene von allen: Als Thera schließlich unterging (in einer Wolke aus Asche und Steinen) , lag damit die gesamte minoische Kultur in Trümmern.
    Die Wahrheit über unsere Utopien ist stets die Geschichte über die Wiederkehr des Vergangenen in neuer Gestalt. Herold entsinnt sich jetzt: Ensslin nannte Meinhof Theres . Angesichts des religiösen Hintergrunds von Ensslin

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