Thorn - Die letzte Rose
„Er wird herausfinden wollen, wer von euch die Nummer Eins ist.“
„Ich bin auf seinen Job nicht scharf“, stellte Thorn fest, ohne die Vampirin anzusehen.
„Aber du hast das Zeug dazu, meine Liebe!“
‚Meine Liebe’ hörte sich aus ihrem Mund genauso herablassend an wie aus dem des Prokurators der ROSE. Trotzdem horchte Thorn auf; das hörte sich fast wie ein Kompliment an.
De Bors kam näher. Elegant und geschmeidig, wie kein menschliches Wesen dazu in der Lage war. So nah, dass Thorn ihren heißen Atem im Genick spüren konnte und ihr Herz vor Anspannung so heftig zu klopfen begann, dass sie es in den Ohren spürte.
„Du bist eine Prinzipalin“, flüsterte die Vampirin. „Du denkst vielleicht, Timok würde Ruhe halten, bis unser Krieg beendet ist. Wird er aber nicht. Er wird vorher wissen wollen, wie die Rangfolge ist.“
„Soll er nur.“ Thorn sah sie frontal an, keine fünf Zentimeter voneinander entfernt. „Ich bin noch keiner Konfrontation aus dem Weg gegangen.“
„Das glaube ich dir aufs Wort.“ De Bors öffnete ihren Mund und strich sich lasziv über die blutrot bemalten Lippen.
Die Vampirjägerin musste insgeheim grinsen, als sie sich vorstellte, de Bors versuchte ausgerechnet sie, die Todfeindin ihres ach so geliebten Rotauge, anzubaggern. Die Situation war nicht nur seltsam, sondern außerordentlich bizarr. Die Ritterin verspürte nicht den geringsten Wunsch, die halb geöffneten Lippen mit den ihren zu verschließen. Höchstens mit einer Handgranate und Klebeband.
Immerhin, sie hatte Francine de Bors vor sich, die ehemalige Frau des Rosenritters Isaak Black. Gemeinsam hatten sie Jagd auf die Blutsauger gemacht, bis sie in einer Nacht vor mehr als zehn Jahren nicht mehr zurückgekehrt war. In jener Nacht war ihr Rotauge begegnet, der Mörder von Thorns Eltern. Er hatte de Bors zu einem Mitglied seiner Brut zu seiner Geliebten gemacht, und sie, sie hatte letztes Jahr Isaak auf einem Friedhof aufgelauert und ermordet.
„Wer wäre dir als Stellvertreter denn lieber?“ Der Tonfall, den die angebliche Cassandra Nova anschlug, während sie sich wieder dem Kaffee zuwandte, machte klar, ihr war nicht nach erotischen Spielchen zumute.
„Mir ist es gleich, solange ich nicht enttäuscht werde.“ De Bors klang ernüchtert; ihre romantische Seifenblase war geplatzt.
„Dann bleib’ bei deinem Gorilla.“ Der Kaffee duftete wundervoll, heiß und aromatisch. Dünner Schaum schwamm auf der Oberfläche, der ihre Zunge umschmeichelte. „Ich kann dir jedenfalls nicht versprechen, dich nie zu enttäuschen.“
Die Vampirin verschränkte abwartend die Arme vor der Brust.
„Siehst du diese Schwerter?“, wollte Thorn wissen. „Ich trage sie nicht, weil sie dekorativ sind. Auch nicht, weil ich zufällig damit umgehen kann. Sie sind Ausdruck meines Lebensgefühls. Ich diene meinem Herrn, solange er es verdient. Sobald er mich aber täuscht oder verarscht, verlasse ich ihn nicht einfach, das wäre zu leicht für ihn. Fortan hat er einen neuen Todfeind.“
„Und das bedeutet?“ Plötzlich war aus de Bors diejenige geworden, die verhört wurde.
„Du hast behauptet, du seist eine Erste. Ein normaler Mondvampir bezweifelt, dass sich jemand dafür ausgibt. Der Zorn der wahren Ersten würde denjenigen mit aller Grausamkeit treffen. Nun“ - sie sah von ihrem Kaffee auf, die Blicke trafen sich - „ich habe so einiges über dich gehört ...“
„Du weißt, ich bin keine Erste?“
Obwohl sie die Offenheit des Geständnisses überraschte, nickte Thorn lediglich zur Bestätigung.
„Und trotzdem hast du dich mir angeschlossen?“
„Ich wollte die Frau kennen lernen, die so mutig ist, sich mit allen anzulegen. Oder so bescheuert ...“
„Ich bin nicht mutig.“ Verneinend schüttelte de Bors den Kopf und blickte zu Boden. „Auch nicht bescheuert. Eher verzweifelt.“
Keine Antwort. Die Ritterin war gespannt auf die neuen Lügen, die man ihr auftischen würde.
„Diese grünen Juwelen sind der Schlüssel zu unendlicher Macht.“ Unvermutet wirkte sie verletzlich wie ein Kind. „Aber ich kann nur einen Bruchteil davon nutzen. Gut, ich habe einen kleinen Stein und noch einige winzige Bruchstücke. Beide habe ich in einer antiken Statue gefunden, sie dienten als Schmuck. Einen davon habe ich Jules gegeben, damit er seine Krankheit heilt und mir die Leute vom Pack bringt.“
„Warum hast du dich als Erste ausgegeben?“
„Um mir eure Loyalität zu sichern. Keiner von euch hätte sich
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