Thors Valhall
musste:
„Ich weiß es nicht …“
„Was soll das heißen, du weißt es nicht? War er etwa nicht bei dir, über Nacht?“ Tony starrte ihn an, als sei er einzig und allein für diese Situation verantwortlich.
„Doch, aber heute Morgen muss er abgehauen sein.“
„Abgehauen, so, so …“ Tony schüttelte den Kopf. „Und mir wirfst du vor, ich würde mich nicht ausreichend um ihn kümmern.“
„Was soll ich denn tun? Ihn einsperren?“
„Vielleicht wäre es das Beste!“, konterte Tony. „Oder wenigstens anketten, damit er nicht wegläuft.“
Thor winkte ab. „Das hab ich versucht, das bringt gar nichts!“
Tonys Mund öffnete sich vor Fassungslosigkeit. „Das sollte eher ein Witz sein!“, gab er zu verstehen. „Du kannst ihn doch nicht festbinden, wie einen Hund!?“
Thor dachte an den vergangenen Abend zurück und schmunzelte süffisant.
„Keine Sorge, so schlimm fand er das nun auch wieder nicht.“
Zuerst schwangen sich seine schlanken Beine aus dem Taxi, dann schob er den Rest seines Körpers vom Sitz nach draußen. Sein Gang war unsicher, er wankte, was auch daran lag, dass eine ganze Schar von Journalisten ihn umzingelte, sie ihre Mikrofone dicht an seine Lippen pressten und ihre Fragen wild und ungeordnet auf ihn einschrien.
„Dylan? Was ist genau geschehen?“
„Was hat Thor Fahlstrøm gemacht? Gab es Streit? Wieso?“
„Werden die Produktionen abgebrochen?“
„Kommt Fahlstrøm ins Gefängnis?“
Eine Weile hörte er sich die wirren Spekulationen an, hob dann die Hand, um zu signalisieren, dass etwas Disziplin angebracht wäre. Erst, als Ruhe eingekehrt war, meldete er sich zu Wort:
„Die Arbeit an dem Album geht weiter …“ Seine Stimme erklang laut, eindringlich. Es war nicht zu überhören, dass er sie nicht unter Kontrolle hatte. Er lallte, dazu taumelte er bedrohlich. Blitzgewitter folgte, erneut aufgeregte Stimmen, als die Reporter bemerkten, in welcher Verfassung Dylan sich befand.
„Und was ist mit Thor Fahlstrøm?“, rief einer von ihnen.
„Die Anzeige ist lächerlich“, gab Dylan bekannt. „Es wird zu keiner Anklage kommen.“
„Wieso sind Sie sich da so sicher?“
Dylan grinste, seine Beine setzten sich in Bewegung. Er sah kurz auf, erblickte Tony an einem der Fenster des Studios, sein erschrockenes Gesicht. „Alles geschah mit meinem Einverständnis“, erklärte Dylan. „Soweit ich weiß, ist das keine Straftat.“
Schon als die Tür hinter ihm zugefallen und er die ersten Stufen der Treppe hinaufgestiegen war, bemerkte er, dass er wohl besser hätte nach Hause fahren sollen. Sein Herz raste, seine Haut schwitzte unkontrolliert, ein heller Schleier lag vor seinen Augen, und er musste aufstoßen. Bitterer Magensaft kroch seine Speiseröhre empor, dazu der brennende Geschmack von Alkohol. Wieso hatte er dem Drang nachgegeben? Wieso musste er sich aus dem Hotel wegstehlen, um, wie ein Verbrecher, heimlich zu trinken?
Tatsächlich war es einfach gewesen, am frühen Morgen das Marriotts unbemerkt zu verlassen, um sich an einer der Tankstellen den nötigen Sprit zu besorgen. Einige Stunden hatte Dylan in einem der Parks verbracht, unerkannt, auf einer Parkbank sitzend, dabei den Kummer hinunterspülend.
Und jetzt wollte er wieder Verlässlichkeit beweisen, den Mut, sich den Dingen zu stellen, doch man ließ ihm gar keine Chance dazu.
Kaum hatte er die letzte Stufe der Treppe erreicht, hörte er schon Tonys aufgeregtes Geschrei:
„Nun sag‘ mir bitte, was das wieder zu bedeuten hat?“
Dylan kam näher, hob seine Hand, dessen Fingernägel lila lackiert waren; an seinen Händen trug er einige Silberringe. Er wollte etwas einwenden, doch ehe er nur ein Wort hervorbringen konnte, spürte er Tony vor sich, dessen Hand sich in seine schwarze Flokatijacke krallte.
„Meinst du, wir können es uns erlauben, zu trödeln? Denkst du, das Studio kostet uns nichts?“
Er stutzte, blickte ihn ganz merkwürdig an.
„Hast du getrunken? Dylan?“ Er rüttelte an ihm. „Sag‘ nicht, dass du wieder getrunken hast? Es ist erst 10 Uhr in der Frühe!“
„Ich …“ Er versuchte, sich zu erklären, dabei strich seine schwache Hand die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Haarspray …
„Hat jemand Haarspray … für mich?“
Er machte wenige Schritte, doch bevor er die Studiotür erreichte, musste er sich gegen die Wand lehnen. Er sah Erik plötzlich vor sich.
„Geht’s? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?“
Dylan winkte ab. Er schloss die Augen.
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