Throne of Glass – Die Erwählte
erlauben, Nehemia zu sehen, geschweige denn ihre Räume nach dem Training zu verlassen oder länger zu bleiben, um mit Nox zu üben. Also lächelte Celaena, schob die Schultern zurück und sagte fröhlich: »Steck’s dir in den Arsch, Cain.«
Cain und Verin lachten, aber sie und Nehemia gingen davon. Die Prinzessin hielt ihre Hand fest, nicht aus Angst oder Wut, sondern um ihr zu signalisieren, dass sie verstand und dass sie bei ihr war. Celaena erwiderte den Händedruck. Schon lange hatte niemand mehr auf sie aufgepasst, aber sie hatte das Gefühl, sie könnte sich daran gewöhnen.
~
Chaol stand mit Dorian im Schatten auf der Empore und beobachtete die Assassinin dabei, wie sie den Dummy in der Mitte der Halle mit den Fäusten bearbeitete. Sie hatte ihm eine Nachricht geschickt, dass sie nach dem Abendessen gern noch ein paar Stunden trainieren würde, und er hatte Dorian gefragt, ob er mitkommen und zusehen wollte. Vielleicht würde der Prinz dann endlich begreifen, warum sie so eine Bedrohung für ihn war. Für jeden.
Celaena grunzte, während sie immer wieder zuschlug, links-rechts-links-links-rechts. Als würde etwas in ihr brennen, das sie einfach nicht loswurde.
»Sie sieht kräftiger aus als vorher«, sagte der Prinz leise. »Du hastgute Arbeit geleistet, sie ist wirklich in Form.« Celaena schlug und trat auf den Dummy ein und duckte sich vor unsichtbaren Schlägen. Die Wachen am Eingang sahen mit ausdruckslosen Gesichtern zu. »Glaubst du, sie hat eine Chance gegen Cain?«
Celaena schwang ein Bein in die Luft und traf den Kopf des Dummys, der zurückschnellte. Dieser Tritt hätte jeden k. o. geschlagen. »Ich glaube, wenn sie beim Zweikampf nicht zu wütend wird und einen kühlen Kopf bewahrt, dann könnte sie es schaffen. Aber sie ist … wild. Und unberechenbar. Sie muss lernen, ihre Gefühle zu beherrschen, vor allem diese fatale Wut.«
Das stimmte. Chaol wusste nicht, ob es an Endovier lag oder ob einfach alle Assassinen so waren; was auch immer der Grund für diese unerbittliche Wut war, Celaena würde sich niemals vollkommen unter Kontrolle haben.
»Wer ist das?«, fragte Dorian scharf, als Nox den Raum betrat und zu Celaena ging. Sie pausierte, rieb sich die bandagierten Knöchel und wischte sich den Schweiß aus den Augen, während sie ihm zuwinkte.
»Nox«, sagte Chaol. »Ein Dieb aus Perranth. Minister Jovals Champion.«
Nox sagte etwas zu Celaena, woraufhin sie beide lachten. »Sie hat noch einen Freund gewonnen?«, fragte Dorian und zog die Augenbrauen hoch, als Celaena dem Dieb eine Bewegung vormachte. »Sie hilft ihm?«
»Jeden Tag. Sie bleiben meistens noch, wenn der gemeinsame Unterricht vorüber ist.«
»Und du erlaubst das?«
Chaol ließ sich nicht anmerken, dass er sich über Dorians Tonfall ärgerte. »Wenn du willst, dass ich das abstelle, brauchst du es nur zu sagen.«
Dorian sah ihnen noch einen Moment zu. »Nein. Lass sie mit ihmüben. Die anderen Champions sind so brutale Typen, sie kann einen Verbündeten gebrauchen.«
»Wohl wahr.«
Dorian wandte sich ab und begab sich mit großen Schritten in den Flur, der von der Empore wegführte. Chaol sah nur noch, wie sein roter Umhang sich hinter ihm aufblähte, dann verschwand er in der Dunkelheit. Chaol seufzte. Er erkannte Eifersucht, wenn er sie sah, und obwohl Dorian intelligent war, konnte er seine Gefühle genauso schlecht verbergen wie Celaena. Vielleicht hatte er mit dem Besuch des Prinzen genau das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich seine Absicht gewesen war.
Mit schweren Schritten ging Chaol dem Prinzen nach und hoffte, Dorian täte nichts, was sie alle in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte.
~
Ein paar Tage später hockte Celaena gebeugt auf einem Stuhl und blätterte die vergilbten, brüchigen Seiten eines schweren Bands um. Nur seitenlanges dummes Geschreibsel, genau wie in den zahllosen anderen Büchern, die sie sich angesehen hatte. Aber wegen der Wyrdzeichen bei Xaviers Leiche und am Uhrturm war es klug, ein wenig nachzuforschen. Je mehr sie darüber in Erfahrung brachte, was dieser Mörder wollte – wie und warum er tötete –, desto besser. Mit dieser konkreten Bedrohung musste man sich befassen, nicht mit dem mysteriösen, unerklärlichen Bösen, von dem Elena gesprochen hatte. Natürlich gab es wenig bis gar nichts zu dem Thema. Mit brennenden Augen blickte die Assassinin vom Buch auf und seufzte. In der Bibliothek war es düster und außer den Geräuschen, die Chaol beim
Weitere Kostenlose Bücher