Thunderhead - Schlucht des Verderbens
ganz normal um die Felsen herum. Und dann warten wir ab, dass der Kaninchengriller zurückkommt.«
»Na klar. Damit er uns mir nichts, dir nichts aus dem Sattel schießen kann.«
Nora sah ihn an. »Haben Sie eine bessere Idee?«
»Ja. Wie wäre es, wenn wir zurückreiten und nachsehen würden, was Bonarotti Gutes zum Abendessen kocht?«
Nora schüttelte ungeduldig den Kopf. »Dann gehe ich eben alleine dort hinunter. Eine einzelne Frau wird man schon nicht gleich abknallen.«
»Ich würde Ihnen das nicht empfehlen«, entgegnete Smithback. »Wenn das die Typen sind, die Sie überfallen haben, werden sie wohl kaum Rücksicht darauf nehmen, dass Sie eine Frau sind.«
»Und was schlagen Sie stattdessen vor?«
Smithback zögerte. »Vielleicht sollten wir uns ja lieber verstecken und erst einmal schauen, wer denn nun wirklich zurück zu diesem Feuer kommt. Dann können wir uns noch immer überlegen, was wir tun.«
»Und wo sollen wir uns verstecken?«
»Zwischen den Felsen hinter uns. Von dort aus haben wir einen guten Überblick und werden trotzdem nicht gesehen.«
Sie gingen zu ihren Pferden, banden sie abseits des Pfades fest und verwischten ihre Spuren. Dann kletterten sie wieder auf die Felsen über dem Lagerplatz und versteckten sich in einer Spalte zwischen zwei großen Blöcken. Kaum hatten sie sich niedergelassen, da hörte Nora ein Unheil verheißendes, rasselndes Zischen. Nicht weit von ihnen lag im Schatten eines Felsens eine zusammengerollte Klapperschlange, die ihren ambossförmigen Kopf langsam hin und her bewegte.
»Jetzt können Sie mir beweisen, dass Sie eine gute Schützin sind«, meinte Smithback.
»Nein«, entgegnete Nora.
»Warum nicht?«
»Weil man den Schuss meilenweit hören würde. Wollen Sie das wirklich?«
Smithback richtete sich mit einem Ruck auf. »Ich schätze, diese Frage ist überflüssig.«
Er deutete auf eine Anhöhe neben der Hochfläche, auf der auch Nora jetzt einen Mann erkennen konnte, an dessen rechter Hüfte ein Revolver hing. Wie lange er schon da stand und sie beobachtete, konnte Nora nicht sagen.
Auf einmal erschien ein Hund neben dem Mann. Als das Tier Nora und Smithback erblickte, fing es wütend an zu bellen. Der Mann rief dem Hund einen kurzen Befehl zu, worauf er sich neben ihn setzte und verstummte.
»Gott im Himmel, das sieht nicht gut für uns aus«, murmelte Smithback. »Wir hocken hier praktisch wie auf dem Präsentierteller.«
Nora wusste nicht, was sie tun sollte. Sie spürte das Gewicht ihrer Waffe am Gürtel. Wenn der Mann einer von denen war, die sie überfallen und die Pferde getötet hatten, dann...
Der Mann stand bewegungslos vor der immer tiefer sinkenden Sonne.
»Sie haben uns in dieses Schlamassel gebracht«, sagte Smithback. »Jetzt sorgen Sie gefälligst dafür, dass wir da wieder rauskommen.«
»Vielleicht sollten wir dem Herrn nett Guten Tag sagen?«
»Brillanter Einfall«, sagte Smithback und hob zögernd die Hand zum Gruß.
Der Mann auf dem Berg erwiderte die Geste. Dann setzte er sich in Bewegung und stieg, gefolgt von seinem Hund, mit seltsam steifbeinigen Schritten den Abhang hinab. Auf einmal blieb er abrupt stehen. So rasch, dass Nora nicht mehr reagieren konnte, zog er seinen
Revolver und schoss.
35
W ährend Nora instinktiv nach ihrer Waffe griff, zerplatzte der Kopf der Klapperschlange in einer Wolke aus Gift und Blut. Nora blickte von der Schlange hinüber zu Smithback. Der Journalist war aschfahl im Gesicht, hatte aber seinen Revolver gezogen.
Der Mann kam mit betont langsamen Schritten auf sie zu. »Nur nicht nervös werden«, sagte er. »Ich hasse diese verdammten Klapperschlangen. Ich weiß zwar, dass sie Mäuse fressen, aber wenn ich nachts pinkeln muss, ist mir das egal. Da will ich nicht auf so eine Giftspritze treten.«
Der Mann sah sehr ungewöhnlich aus. Er hatte weißes, auf Indianerart zu langen Zöpfen geflochtenes Haar und trug ein rotes Tuch um die Stirn. Seine dünnen, staubigen Beine, die aus einer sauberen, aber abgenutzten und mindestens fünfzehn Zentimeter zu kurzen Hose hervorragten, steckten ohne Socken in nagelneuen roten Baseballstiefeln. Das Hemd des Mannes bestand aus fein gegerbtem, mit Glasperlen besticktem Hirschleder und um den Hals hing ihm eine Kette aus Türkisen. Was Nora aber am meisten faszinierte, war sein Gesicht. Es hatte etwas Ernstes und Würdevolles an sich, das in einem gewissen Kontrast zur Lebhaftigkeit seiner funkelnden, amüsiert dreinblickenden schwarzen Augen
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