Thunderhead - Schlucht des Verderbens
stand.
»Sie sehen aus, als kämen Sie von weit her«, sagte der Mann mit dünner, heiserer Stimme in jenem eigenartigen, ein wenig abgehackt und doch melodiös klingenden Tonfall, der für viele amerikanische Ureinwohner im Südwesten typisch ist. »Haben Sie in meinem Lager gefunden, wonach Sie suchen?«
Nora sah ihm in seine flinken Augen. »Wir haben in Ihrem Lager nichts angerührt«, erwiderte sie. »Wir sind auf der Suche nach den Leuten, die unsere Pferde getötet haben.«
Der Mann erwiderte ungerührt ihren Blick, wobei er seine Augen zu schmalen Schlitzen verengte. Seine gute Laune schien verflogen. Einen Moment lang befürchtete Nora, er könnte wieder seine Waffe ziehen, und spürte, wie ihre rechte Hand unwillkürlich nach unten zuckte.
Dann ließ die Spannung nach, und der Mann trat einen Schritt auf sie zu. »Es ist schlimm, wenn man ein Pferd verliert«, sagte er. »Ich habe kühles Wasser im Lager, und außerdem brate ich mir gerade ein Kaninchen mit Chili. Warum kommen Sie nicht einfach mit?«
»Gerne«, erwiderte Nora und folgte zusammen mit Smithback dem Mann die Felsen hinunter zu seinem Lagerplatz.
Er bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sich zu setzen, und ging dann in die Hocke, um den Spieß mit dem Kaninchen zu drehen. Dann stocherte er mit einem Stock im Feuer herum und holte mehrere in Alufolie eingewickelte Chilischoten aus der Glut hervor. »Ich habe Sie kommen gehört«, sagte er, während er die Chilis zum Warmhalten auf einen Stein nahe am Feuer legte. »Und da bin ich auf den Berg gestiegen, um zu sehen, wer Sie sind. Hier draußen bekommt man nur selten Besuch, deshalb ist es nicht verkehrt, wenn man ein wenig Vorsicht walten lässt.«
»Sind wir denn so auffällig?«, fragte Smithback.
Der Mann bedachte ihn lediglich mit einem langen, kühlen Blick aus seinen schwarzen Augen.
»Aha«, meinte Smithback. »Dann waren wir wohl wirklich auffällig«
Der Mann grub eine Feldflasche aus dem kühlen Sand im Schatten der Felsen und reichte sie Nora. Sie nahm die Flasche schweigend entgegen und merkte erst, als sie trank, wie durstig sie eigentlich war. Der Mann warf ein paar Wacholderzweige aufs Feuer, bevor er das Kaninchen ein weiteres Mal wendete. »Sie gehören wohl zu den Leuten unten im Chilbah-Tal?«, meinte er und setzte sich Nora und Smithback gegenüber.
»Im Chilbah-Tal?«, wiederholte Smithback.
Der Mann nickte. »Das ist das Tal auf der anderen Seite des Bergrückens hinter uns. Ich habe einen von Ihnen neulich vom Grat aus beobachtet«, sagte er an Nora gewandt. »Und ich schätze, er hat mich auch gesehen. Und jetzt sind Sie hier, weil jemand Ihre Pferde getötet hat, und Sie glauben, dass ich es war.«
»Wir sind einer Spur gefolgt«, sagte Nora vorsichtig. »Und die hat uns hierher geführt.«
Anstatt ihr zu antworten, erhob sich der Mann und probierte mit seinem Messer, ob das Kaninchen schon durch war. Dann ging er wieder in die Hocke und sagte: »Mein Name ist John Beiyoodzin.«
Nora zögerte einen Augenblick, bevor sie erwiderte: »Entschuldigen Sie, wir haben vergessen, uns vorzustellen. Ich bin Nora Kelly, und das ist Bill Smithback. Ich bin Archäologin, und Bill ist Journalist. Wir befinden uns auf einer archäologischen Expedition.«
Beiyoodzin nickte. »Sehe ich für Sie aus wie ein Pferdekiller?«
»Ich weiß nicht, wie Pferdekiller aussehen.«
Der Mann dachte über die Antwort nach. Dann wurde der Blick seiner funkelnden Augen sanfter, und er schüttelte den Kopf. »Das Kaninchen ist fertig«, sagte er und stand auf. Er nahm den Spieß mit einer geschickten Handbewegung vom Feuer und schnitt zwei große Stücke Fleisch ab. Diese legte er auf zwei flache Sandsteine und gab sie Nora und Smithback. Dann wickelte er ganz vorsichtig, um die wieder verwendbare Alufolie nicht zu beschädigen, die Chilis aus und zog ihnen die Haut ab, bevor er sie seinen beiden Gästen auf die improvisierten Teller schob. »Leider kann ich Ihnen nur einen sehr bescheidenen Komfort bieten«, meinte er, während er für sich auch ein Stück von dem Kaninchen abschnitt.
Die Chilis waren so scharf, dass Nora das Wasser in die Augen schoss. Trotzdem aß sie ihre Schote ganz auf, denn der lange Ritt hatte sie hungrig gemacht. Auch Smithback verspeiste sein Essen mit großem Appetit. Beiyoodzin sah den beiden einen Augenblick lang zu und nickte zufrieden. Während der kurzen Mahlzeit sprach keiner der drei ein Wort.
Auch nachdem Beiyoodzin noch einmal die Feldflasche
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